Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
auf die vielen Menschen, die dicht gedrängt um sie standen. Sie biss sich auf die Lippen und atmete tief durch.
»Was jetzt?«, fragte sie Shane.
Er sah sie liebevoll an und drückte ihre Hand.
»Du wartest mit den anderen hier«, sagte er hastig. »Ich sehe mich nach den Tunneln um.« Dann lief er auch schon los.
Serena strich dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm übers Haar.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte sie.
Die Kleine schüttelte den Kopf. Sie verstand Serena nicht.
Serena musterte sie. Sie hatte dunkelbraunes langes Haar und hübsche braune, fast schwarze Augen, die für eine Vier- oder Fünfjährige viel zu ernst dreinblickten.
Sie hat in ihrem kurzen Leben zu viel Schreckliches erlebt , ging es Serena durch den Kopf. Sie lächelte das Kind an und versuchte es mit Spanisch.
»Cómo te llamas?«, fragte sie.
Diesmal antwortete die Kleine.
»Sonia«, sagte sie.
»Sonia«, wiederholte Serena. »Das ist ein sehr hübscher Name.« Sie zeigte auf sich. »Serena. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut werden«, fügte sie leise hinzu. Aber die Worte waren mehr für sie selbst als für das Kind bestimmt.
Plötzlich wurden schwere Schritte laut.
Serena wandte sich alarmiert um. Fünf schwarzgekleidete Männer traten aus einem der Seitengänge. Sie trugen kugelsichere Westen und waren mit Pistolen und Maschinengewehren bewaffnet. Und obwohl ein ansehnlicher Teil der befreiten Gefangenen zwischen ihnen stand, erkannte Serena den Anführer sofort: Es war der Mann, der sie im Hummer verfolgt und dessen Gespräch Shane und sie mitgehört hatten, als sie sich in dem leerstehenden Büro versteckten – Newman.
»Da sind sie, Mr Newman, sir«, rief eine dunkle Männerstimme. »Da vorn!«
Newman hatte seine Pistole bereits im Anschlag.
»Keine Bewegung!«, schrie er und blickte suchend auf die Menschenmenge vor ihm.
Die vier anderen bauten sich mit erhobenen Schusswaffen hinter ihm auf.
»Verdammt noch mal, wo sind die drei?«, rief er, ohne sich umzudrehen. »Hier ist es voller als auf einem Bahnsteig zur Hauptverkehrszeit!«
Einer der IPC-Sicherheitsleute sprang vor. Er packte eine junge Frau, zog sie wie einen Schild vor sich und drückte den Lauf seiner Pistole an ihre Schläfe.
Die Frau war starr vor Angst. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie wagte es nicht, sich zu rühren.
»Eckehard, Storm Hawk, ergebt euch!«, schrie Newman. »Sonst knallen wir die Leute hier einen nach dem anderen ab.«
»Fabian und Shane sind nicht hier«, rief Serena ihm zu. »Aber ich ergebe mich. Lass die Frau laufen!«
Sie bahnte sich einen Weg durch die dicht gedrängt stehenden Menschen.
Newman und seine Leute hatten ihre Waffen noch immer auf die Menge gerichtet. Sie sahen Serena abwartend entgegen.
»Ihr braucht euch nicht so aufzuspielen und den armen Leuten noch mehr Angst einzuflößen!«, rief Serena wütend. Sie schob die Umstehenden beiseite und ging geradewegs auf die Bewaffneten zu. »Sie laufen euch nicht davon. Wir laufen euch nicht davon. Sieh dich um, Newman, sieh dir all die hilflosen Menschen an. Sieh in ihre Gesichter. Sieh, was man ihnen angetan hat. Männer, Frauen, Kinder – eingepfercht wie Tiere. Schlimmer als Tiere. Terrorisiert, gequält, geopfert. Ich weiß, ihr habt kein Mitgefühl, aber habt wenigstens Gnade.«
Sie hatte Newman fast erreicht. Die letzten Menschenreihen teilten sich, und Serena, mit der kleinen Sonia auf dem Arm, starrte in die Läufe von fünf Schusswaffen.
Newman ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Serena spürte, dass ihre Worte ihn nicht beeindruckten. Wenigstens nicht seinen Verstand. Aber es war sein Herz, an das sie appelliert hatte – wenn er denn eins hatte.
Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Sonia wandte den Kopf und sah Newman unverwandt an. Serena bemerkte die unfassbare Angst und den Schrecken in ihrem Blick. Aber da war noch etwas anderes: Ein solches Flehen und ein solch intensiver Hoffnungsschimmer waren in Sonias Augen zu lesen, dass es Serena das Herz schmerzen ließ.
Serena sah zu Newman hinüber, und für den Bruchteil eines Augenblicks vermeinte sie Zweifel auf seinem Gesicht zu erkennen. Zweifel darüber, ob er seine Waffe auf die richtige Person gerichtet hatte.
Hoffnungsvoll beobachtete sie, wie Newman langsam die Hände sinken ließ. Doch im nächsten Moment schüttelte er den Kopf und richtete die Pistole blitzschnell wieder auf sie.
»Keine Tricks!«
Plötzlich lief erneut ein Donnern durch den Berg. Das Beben
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