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Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hier.« Sie packte den Rollstuhl und begann ihn zu schieben. Die verbogenen Räder holperten über den unebenen Hof. Es ging durch eine weitere Pforte und sie gelangten auf einen zweiten Hof. Dort stand ein langes Gebäude mit einem Gang unter dem überstehenden Dach. Einige Türen waren offen. Vor jeder Tür saß ein Mensch. Sofia sah, dass sie alle sehr alt und krank waren. Viele hatten schmutzige Verbände um verschiedene Körperteile. Manche hatten keine Beine, anderen fehlten Finger oder die ganzen Hände. Es roch schrecklich und Sofia fragte sich, wie sie es hier aushaken sollte. Am Ende des langen Ganges blieb Veronica vor einer geschlossenen Tür stehen. »Hier wirst du wohnen«, sagte sie und öffnete die Tür. Sofia sah in ein finsteres Zimmer. Darin standen zwei alte Stahlbettgestelle ohne Matratzen. »Ganz allein?«, fragte Sofia. »Wenn du gehen gelernt hast, darfst du nach Hause zu deiner Mama«, sagte Veronica. »Bald kriegst du was
    zu essen.«
    Sofia ließ sich aus dem Rollstuhl rutschen. So war es wohl, als ich noch klein war und nicht gehen konnte, dachte sie. Sie kroch über die Schwelle. Dann blieb sie auf dem Fußboden sitzen und sah sich um. Es gab nichts weiter als die Betten im Zimmer. Eine Holzplatte verdeckte ein Eoch in der Wand, wo früher ein Fenster gewesen war. Plötzlich schoss aus einer Ecke eine Ratte hervor und verschwand durch die Tür nach draußen. Sofia rutschte zum Bett. Sie wusste, dass sie nicht kriechen durfte. Dann könnten die Bandagen um ihre Beinstümpfe kaputtgehen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit sich vorwärts zu bewegen, sie musste auf dem Po rutschen. Sie schaffte es auch, sich auf das Bett zu ziehen. Erschöpft streckte sie sich auf den verrosteten Stahlfedern aus. Sie scheuerten in ihrem Rücken und Nacken. Aber sie war sehr müde nach der langen Nacht im Rollstuhl. Sie war zu müde um zu denken und schlief auf der Stelle ein.
    Als sie aufwachte, tat ihr der ganze Körper weh. Auf dem Fußboden neben dem Bett stand ein Teller mit kalter Maisgrütze und einem Stück Speck. Sie ließ sich auf den Fußboden rutschen und nahm den Teller mit zur Türöffnung. Draußen rutschte ein Mann ohne Augen vorbei. Sie folgte ihm mit Blicken. Er verschwand in einer der äußersten Türen des langen Gebäudes. Sofia erriet, dass sie dorthin musste, um ihre Notdurft zu verrichten. Sie war hungrig und begann zu essen. Aber das Essen schmeckte so schlecht, dass sie sich zwingen musste es hinunterzuschlucken. Sie dachte, dass es vielleicht verboten war das Essen nicht aufzuessen. Vielleicht würde man sie dann zur Strafe noch eine Nacht draußen im Rollstuhl sitzen lassen? Als der Teller leer war, stellte sie ihn beiseite und blieb in der Türöffnung sitzen. Sie sah ihre schmutzigen Verbände und war sehr traurig. Sie wollte nicht in dem dunklen Zimmer wohnen. Auch wenn sie nicht gehen konnte, sie wollte nach Hause zu
    Mama Lydia und Alfredo. Warum sollte sie bei den vielen alten und kranken Menschen wohnen, die sie nicht kannte? Hier gibt es nicht einmal Feuer, dachte sie. Es gibt keine Flammen, in die ich hineinschauen könnte. Sie haben mir nicht nur meine Beine weggenommen. Sie haben mir auch alle Geheimnisse des Feuers genommen.
    Wie lange sie in der Türöffnung gesessen hatte, wusste sie nicht. Als Veronica mit ihrem massigen Körper angewatschelt kam, um den leeren Teller abzuholen, sah sie, dass Sofia traurig war. Obwohl sie viel zu tun hatte, denn sie musste für alle, die hier wohnten, das Essen zubereiten, setzte sie sich zu Sofia, nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. »Jetzt bist du traurig«, sagte sie. »Du hast keine Beine, du kannst nicht gehen. Deine Schwester ist nicht mehr da und du kennst niemanden hier. Du fragst dich, was geschehen wird. Und du musstest eine ganze Nacht allein im Rollstuhl sitzen. Das Essen ist auch nicht gut, obwohl ich das Beste aus dem bisschen zu machen versuche, was mir zur Verfügung steht. Du bist traurig und weißt nicht, was geschehen wird. Ist es nicht so?« Veronica hielt sie in ihren großen Armen wie in einem Schraubstock fest. Sofia nickte nur schwach als Antwort. Gleichzeitig war es schön. Sie konnte Veronicas Herz spüren. »In ein paar Tagen ist es leichter«, sagte Veronica. »Und du musst wieder gehen lernen. Du musst so lange hier bleiben, bis du deine neuen Beine bekommst.« Als Veronica gegangen war, fühlte Sofia sich besser. Nicht viel, aber trotzdem.
    Am nächsten Morgen weckte Veronica sie früh.

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