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Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Sofias ganzer Körper schmerzte, nachdem sie auf den Stahlfedern geschlafen hatte. Einmal war sie nachts aufgewacht, weil eine Ratte über sie hinwegsprang. »Wenn du wenigstens eine Matratze hättest, auf der du liegen könntest«, sagte Veronica. »Aber wir haben keine. Wir müssen froh sein, dass es etwas zu essen gibt.« Sofia rutschte zur Pumpe auf dem Hof und wusch sich. Dann kroch sie in den Rollstuhl. Veronica brachte sie auf den äußeren Hof. Von dort holte ein Auto sie ab. Im Krankenhaus wurde Sofia in einen großen Raum gebracht. An der einen Wand waren lauter Spiegel. Durch den Raum führten verschiedene Holzgeländer. Dort gingen Menschen in jedem Alter herum und lernten zum zweiten Mal in ihrem Leben gehen. Die meisten hatten nur ein künstliches Bein, einige hatten zwei. Sofia saß im Rollstuhl und betrachtete sie. Würde sie das jemals lernen? Plötzlich klopfte ihr jemand auf die Schulter. Als sie den Kopf drehte, sah sie Mestre Emilio, der ihr entgegenlächelte. »Jetzt ist es so weit«, sagte er und hielt zwei Stöcke aus Holz vor ihr hoch. Ganz oben waren Riemen befestigt. Am anderen Ende waren zwei Schuhe angebracht. »Mit diesen hier wirst du anfangen«, sagte er. »Deine Knie müssen sich erst daran gewöhnen, dass sie bald zwei neue Beine haben werden. Anfangs wird es wehtun. Du wirst dir Stellen aufscheuern, aber in ein paar Monaten sind die Wunden verheilt.« Während Mestre Emilio redete, war ein anderer Mann in einer weißen Jacke zum Rollstuhl gekommen. Er war viel jünger als Mestre Emilio. »Das ist Benthino«, sagte Mestre Emilio. »Er wird dir helfen, bis du wieder gehen kannst.« Benthino lächelte sie an. »Sofia«, sagte er, »am besten, wir werden Freunde. Wir werden uns lange Zeit jeden Tag treffen.«
    »Ja«, sagte Sofia. Sie befestigten die beiden Stöcke an ihren Knien. Dann richtete sie sich im Stuhl auf. Sie spürte, wie ihre Knie schmerzten. Trotzdem hätte sie am liebsten gesungen. Sie stand wieder! Benthino gab ihr zwei Krücken. »Versuch mal einen Schritt zu machen«, sagte er. »Du fällst nicht hin. Du hast die Krücken. Und ich bin hier. Ich fang dich auf, wenn du fällst.«
    »Wie soll ich das machen?«, fragte Sofia. »Wie immer«, sagte Benthino. »Du darfst nicht daran denken, dass es Beine aus Holz sind. Du sollst einfach so gehen wie früher.« Sie machte einen Schritt. Es war ungewohnt und steif. Als ob sie versuchte auf Stelzen zu gehen. Die Knie taten ihr weh und die Riemen an den Oberschenkeln drückten und scheuerten. Benthino ließ sie los. Er und Emilio stellten sich an die gegenüberliegende Wand. »Komm her«, rief Benthino. »Geh langsam. Du fällst nicht.«
    »Ich kann nicht«, antwortete Sofia. »Du kannst«, sagte Benthino. Sie versuchte einen Schritt zu machen. Es war ein Gefühl, als höbe sie etwas sehr Schweres an, das an ihrem Körper hing. Zuerst das eine Bein, dann das andere. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich selbst und Maria den Pfad entlanglaufen. Das nächste Bein. Es anheben, vor das andere setzen, jetzt laufen sie. Sie spielen. Ein neues Spiel, das Sofia sich ausgedacht hat. Das nächste Bein. Ein Schritt vorwärts, mit den Krücken
    abstützen, das Gleichgewicht finden. Sie wollen mit geschlossenen Augen laufen. So macht sie es immer, wenn sie ein neues Spiel erfindet. Zuerst probiert sie es selbst aus. Dann sagt sie Maria, wie es geht. Der nächste Schritt. Den Holzstock mit dem schwarzen Schuh anheben und vorwärts, die Krücken auf dem Boden abstützen. Sie schließt die Augen und läuft. Aber der Pfad ist feucht. Sie rutscht aus und stolpert, findet keinen Halt. Das nächste Bein. Die Krücken nach vorn, dann den Fuß, den Körper anheben, die Balance halten. Sie öffnet die Augen, sie ist außerhalb des Pfades. Sie steht auf einem Bein, dreht sich um und sieht Maria. Sie weiß, dass sie nicht auftreten darf. Aber es ist schon zu spät. Sofia fiel. Benthino lachte. Er und Emilio hoben sie auf, sammelten die Krücken ein, befestigten einen Riemen, der sich gelöst hatte. Plötzlich sahen sie, dass Sofia Tränen in den Augen hatte. »Hast du dir wehgetan?«, fragte Benthino. »Wir haben nur gespielt«, sagte Sofia. »Ich bin gestolpert.« Benthino verstand nicht, was sie meinte. Er wollte, dass sie weiterging. Aber Mestre Emilio legte die Hand auf seinen Arm und sagte, Sofia müsse sich erst mal ausruhen. Er hatte so etwas wohl schon öfter erlebt. Er begriff, dass Sofia erst jetzt verstanden hatte, was eigentlich passiert war,

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