Das Geheimnis des Feuers
ist das Kleid?«, fragte sie.
»Sie hat nicht gesagt, wie sie heißt«, antwortete Fabiao. »Aber sie hat mir das Geld schon im Voraus gegeben.« Er legte einige Scheine auf den Tisch neben die Nähmaschine.
»Ich muss aber wissen, wie groß das Mädchen ist«, sagte Sofia. »Ich kann kein Kleid nähen ohne zu wissen, wie groß es werden soll.«
»Es soll dir passen«, sagte Fabiao. »Sie hat gesagt, ihr seid gleich groß.« Sofia war es plötzlich ganz komisch zu Mute. Sie legte den Stoff zurück in den Korb.
»Wer ist dieses Mädchen?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht«, sagte Fabiao. »Eine alte Frau hat mir den Stoff und das Geld gegeben.«
»Wann soll das Kleid fertig sein?«
»Vorm nächsten Vollmond.« Sofia sah Fabiao lange an, bevor sie antwortete. »Richte der alten Frau aus, dass ich ein weißes Kleid nähen werde«, sagte sie. »Ein weißes Kleid, das mir passen wird.« Fabiao nickte und lief davon. Die Dämmerung senkte sich. Gedankenvoll zündete Sofia ein Feuer an. Sie war zu müde um etwas zu essen. Sie setzte sich nur auf ihre Bastmatte und sah in die Flammen. Die Holzhaube hatte sie über die Nähmaschine gestülpt. Niemand durfte Totios Nähmaschine stehlen.
Im Korb neben ihr lag der weiße Stoff. Jetzt wusste Sofia, dass Muazena zurückgekehrt war. Maria sollte das Kleid bekommen. Maria, die tot war und dennoch da war, in ihr oder tief drinnen im Feuer, das vor ihren Augen flackerte. Maria würde es immer dort geben. Ich werde das Kleid nähen, dachte Sofia. Ich werde es so schön machen, wie ich nur kann. Und einmal, wenn ich lange Zeit hart gearbeitet und genügend Geld verdient habe, werde ich Lydia, Alfredo und Faustino nehmen und wir werden nach Hause in das Dorf zurückkehren, das die Banditen in jener Nacht vor so vielen Mondumläufen niedergebrannt haben. Vielleicht werde ich dann auch das Meer wieder sehen.
Sie saß lange am Feuer, tief versunken in den Flammen. Die Beine hatte sie abgeschnallt und an ihre Seite gelegt. Die tropische Nacht war mild. Die Grillen zirpten, weit entfernt bellte ein Hund. Der Sternenhimmel über ihrem Kopf war voll unbeantworteter Fragen. Dann verkroch sie sich mit der Nähmaschine und ihren Beinen in der Hütte, verschloss die Türöffnung mit der Bastmatte und legte sich zum Schlafen nieder.
Dort draußen erlosch langsam das Feuer.
Die Glut wurde immer schwächer.
Sofia schlief.
Auf einem Pfad in ihren Träumen kam Maria ihr entgegengelaufen.
Und die Nacht, die afrikanische Nacht, war still.
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