Das Geheimnis des Feuers
schuld an Marias Tod war. Hortensia schüttelte den Kopf. »Du konntest doch nicht wissen, dass gerade dort eine Mine lag«, sagte sie. »Es war nicht deine Schuld. Die Mine ist schuld.« Als Sofia hörte, was Hortensia sagte, beschloss sie sich nie mehr unter der Decke zu verkriechen.
Sie sprachen über alles miteinander. Aber da war etwas, das sie nie berührten. Sie wussten, dass sie sich eines Tages trennen mussten. Hortensia würde nach Hause fahren und Sofia würde nach Hause fahren. Den Gedanken konnte Sofia einfach nicht denken. Sie wollte Hortensia nicht verlieren, wie sie Maria verloren hatte. Auch wenn Hortensia weiterlebte, wäre es doch dasselbe. Sie würden sich nie mehr wieder sehen.
Für Hortensia war alles leichter, weil sie nur ein neues Bein brauchte. Für Sofia war es viel schwerer. Manchmal war sie neidisch auf Hortensia, die nur ein Bein verloren hatte. Aber das behielt sie für sich. Sie erzählte nie jemandem, was sie fühlte.
Eines Tages, sie waren gerade zurückgekommen in das Heim für Alte und Kranke und saßen in der Türöffnung und warteten aufs Essen, da kam ein Mann, der sagte, Hortensia brauche nicht mehr zu üben. Sie solle das bisschen, was sie besaß, zusammenpacken und sofort gehen. Er würde sie zu einem Bus fahren, der sie nach Hause bringen würde. Sie konnten sich fast nicht mehr voneinander verabschieden. Alles ging so schnell. Sie berührten einander nur schüchtern an den Händen. Dann war Hortensia fort. Sofia saß in der Türöffnung und sah sie gehen. Hortensia bog um die Ecke und war fort. Sofia machte die Tür hinter sich zu. Wieder war sie allein.
8.
Sofia hat Hortensia nie vergessen. Aber sie hat sie nie wieder gesehen. Jeden Morgen, wenn sie erwachte, wurde sie daran erinnert, dass Hortensia nicht mehr da war. Das Bett war leer. Sie fragte Veronica, ob vielleicht ein anderes Mädchen kommen würde. Aber Veronica wusste es nicht. Das Bett blieb leer.
Die Tage vergingen langsam und schwer. Manchmal dachte Sofia, dass die sonderbare Zeit, die es gab und nicht gab, wie die trägen Flusspferde war, die sie im Fluss hatte herumschwimmen sehen, wenn sie und Maria ihre Kleider wuschen.
Auch wenn Sofia um jeden Preis und so schnell wie möglich so gut gehen lernen wollte, dass sie wieder nach Hause konnte, fragte sie sich doch oft, wie die Zukunft aussehen würde. Nie würde sie rennen oder tanzen können und sie dachte, dass kein Mann sie würde haben wollen, wenn sie erwachsen war und sich Kinder wünschte. Die Gedanken waren weniger schwer gewesen, als noch jemand da war, mit dem sie sie teilen konnte. Aber Hortensia war und blieb fort.
Eines Tages waren ihre neuen Beine fertig. Doktor Raul holte Sofia aus dem großen Raum, in dem sie mit Benthinos Hilfe gehen übte. Zusammen gingen sie zu Mestre Emilio. Er lächelte ihr entgegen und zeigte auf zwei Beine, die gegen den Tisch gelehnt waren. »Darf ich dir deine neuen Freunde vorstellen«, sagte er. »Sie werden von jetzt an viele Jahre mit dir zusammen sein. Da du noch wächst, wirst du später einmal zwei neue längere Beine brauchen. Aber bis dahin sind die hier deine besten Freunde.« Die Beine waren aus hellbraunem Plastik. Sie waren dick wie gewöhnliche Beine und hatten unten keine Schuhe. Das eine Bein war länger als das andere, da es oben am Schenkel befestigt werden musste. Gemeinsam passten sie Sofia die neuen Beine an. Als sie sich aufrichtete, merkte sie, dass sie passten. Es scheuerte nur ein wenig unterm linken Knie. Wenn sie ihre Capulana bis zu den Füßen fallen ließ, könnte niemand sehen, dass es nicht ihre eigenen Beine waren. Doktor Raul sagte, sie solle ein wenig im Zimmer herumgehen. »Tut es weh?«, fragte er. Sofia schüttelte den Kopf. »Kann ich jetzt nach Hause?«, fragte sie stattdessen. »Noch nicht«, antwortete Doktor Raul. »Du musst noch mindestens einen Monat zum Üben hier bleiben. Aber dann darfst du nach Hause.«
An diesem Abend versuchte Sofia ihre Capulana auf verschiedene Weise zu drapieren, damit die künstlichen Beine nicht zu sehen waren. Sie ging vor dem langen Haus auf und ab und es war fast so, als ob alles wie früher sei. Wer es nicht wusste, konnte nicht erkennen, dass ihre Beine aus Plastik waren. Von diesem Tag an benutzte Sofia keinen Rollstuhl mehr. Vorher hatte sie ihre Beine immer erst im Krankenhaus angelegt. Jetzt tat sie es morgens und behielt sie an, bis sie abends zurückkam und schlafen ging. Sie nahm sie mit ins Bett und legte sie unter die Decke,
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