Das Geheimnis des Feuers
gegen die Hüttenwand gelehnt und war dabei, den Hof zu fegen. Mit Hilfe des Besens konnte sie die Balance halten. Plötzlich war da jemand, der den Besen an sich riss. Sofia verlor das Gleichgewicht und fiel. Es war Isaias. Sofia sah, dass er nicht getrunken hatte. Offenbar fand er, er habe etwas Lustiges getan, denn er lachte. Dann warf er den Besen neben ihr auf die Erde. »Jetzt habe ich dich aber überrascht, wie?«, sagte er. Sofia gab keine Antwort. Sie packte den Besen und richtete sich auf. Dann fegte sie weiter.
An diesem Abend saß sie lange am Feuer. Sie hatte beschlossen wegzugehen. Hier konnte sie nicht bleiben. Alfredo tat ihr Leid, aber sie konnte ihn nicht mitnehmen. Wohin sie gehen würde, wusste sie nicht. Dann beschloss sie in die Stadt zurückzukehren. Vielleicht gab es dort jemanden, der ihr helfen konnte. Wenn nicht, musste sie es machen wie so viele andere. Sich auf die Straße setzen und betteln. Was immer geschah, es war besser als zu bleiben. Früh in der Dämmerung wollte sie aufbrechen. Da sie kein Geld hatte, musste sie in die Stadt gehen. Sie wusste nicht, ob sie das schaffen würde. Die Riemen, mit denen ihre Beine an ihrem Körper festgeschnallt waren, könnten reißen. Dann würde ihr nichts anderes übrig bleiben als weiterzukriechen. Trotzdem zögerte sie nicht. In der Stadt gab es Doktor Raul. Er würde ihr helfen.
In dieser Nacht ging sie nicht in die Hütte. Sie saß am Feuer und sah es verglimmen. Die Nacht war mild und sie nickte ein, den Rücken gegen die Wand der Hütte gelehnt. Dann brach sie auf. Sie drehte sich nicht um, als sie das Dorf verließ.
Sie brauchte drei Tage in die Stadt. Den größten Teil des Weges hüpfte sie vorwärts mit Hilfe ihrer Krücken. Hin und wieder hielt ein Auto an und nahm sie einige Kilometer mit. Jemand gab ihr ein Stück Brot. Wasser trank sie aus den Pumpen in den Dörfern, an denen sie vorbeikam. Am zweiten Tag stellte sie fest, dass ihr linkes Bein einen Riss hatte. Da bekam sie Angst. Sie wollte nicht ohne ihre Beine zu Doktor Raul kommen. Sie versuchte ihr Gewicht auf das rechte Bein zu verlagern. Davon bekam sie Krämpfe und musste immer öfter stehen bleiben.
An einem späten Abend erreichte sie die Stadt. Sie kroch unter einen verrosteten, kaputten Laster, um zu schlafen und die Dämmerung abzuwarten. Und dann hatte sie solchen Hunger, dass sie Magenschmerzen bekam. In der Nähe raschelten große Ratten. Hin und wieder schlug sie mit ihren Krücken nach ihnen. Noch nie hatte sie so eine lange Nacht erlebt. Es war, als ob die Sonne beschlossen hatte, sich nie mehr über den Horizont zu erheben. Wieder dachte sie daran, was Muazena als den größten aller Schrecken beschrieben hatte. Allein übrig zu bleiben. Der letzte Mensch auf der Erde zu sein. War sie das? Sofia Alface unter einem verrosteten Laster am Rand einer großen Stadt, irgendwo in Afrika?
Schließlich kam die Dämmerung. Sie kroch unter dem Laster hervor und setzte ihren Weg in die Stadt fort. Nach vielen Stunden fand sie das Krankenhaus. Sie fand auch Doktor Rauls Auto auf dem Parkplatz. Die Stoßstange war immer noch mit einem Stück Draht befestigt. Sie setzte sich neben dem Auto auf die Erde und wartete. Dort fand Doktor Raul sie, als er nach einem langen Tag im Krankenhaus in der Dämmerung auf dem Heimweg war.
10.
Doktor Raul hatte eine Frau, die hieß Dolores. Obwohl er sie liebte und sie vier Kinder miteinander hatten, fürchtete er sich manchmal auch vor ihr. Sie konnte sehr streng sein. Er wusste, dass sie sich oft über seine Zerstreutheit ärgerte. Er hatte den Verdacht, dass sie sich auch manchmal über seine Meinung ärgerte, sie könnten sich kein neues Auto leisten.
An diesem Tag machte er sich Sorgen, was sie sagen würde, wenn er Sofia mit nach Hause brachte. Sie hatte neben dem Auto geschlafen, als er kam. Zuerst hatte er geglaubt, es sei eins der vielen Kinder, die auf der Straße lebten und die sein Auto häufig mit einem schmutzigen Lappen wuschen in der Hoffnung, Doktor Raul könnte sich erweichen lassen und einen Geldschein herausrücken. Er grub schon mit einer Hand in einer Tasche, als er Sofia erkannte, seine ehemalige Patientin, die dort neben dem Hinterrad saß. Sofia, die er kürzlich in ihr Dorf außerhalb von Boane gebracht hatte. Er blieb mit gerunzelter Stirn stehen, da er verstand, dass etwas geschehen war. Im selben Augenblick war es, als ob sie ihn gehört hätte oder als ob sie ahnte, dass er da war, und sie schlug die Augen
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