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Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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einem Jungen gesprochen, der wird die Nähmaschine heute Nacht bewachen«, sagte Totio. »Niemand wird sie stehlen.« Dann gab es nichts mehr zu bereden. Fernanda streichelte Sofia die Wange, Totio gab ihr seine runzlige, aber kräftige Hand. Er hielt ihre Hand lange fest. Sofia hüpfte auf ihren Krücken heim. Ihr war klar, daß man sie sehr vermisst hatte.
    Als sie zu Abend gegessen hatten, blieb Lydia sitzen. Sofia wusste, dass sie über etwas sprechen wollte. Das Feuer flackerte und Sofia sah Lydia ins Gesicht. Ihr kam es vor, als ob Lydia, die noch jung war, abgearbeitet und müde wirkte. Als ob sie schon alt geworden war, obwohl sie noch viel mehr Kinder zur Welt bringen konnte. »Ich habe nicht viele Wörter«, sagte sie. »Aber ich habe viele Gedanken. Als ich dich und Maria dort auf dem Pfad sah, dachte ich, mein Leben sei zu Ende. Alles ist mir genommen worden, mein Mann Hapakatanda, mein Dorf, meine Kinder. Aber du hast überlebt und jetzt hast du ein eigenes Haus und eine Nähmaschine. Du hast zwei neue Beine, und hier im Dorf spricht man respektvoll über dich. Ich glaube, Hapakatanda und Maria sehen dich. Und sie sind genauso stolz wie ich.«
    »Vergiss Muazena nicht«, sagte Sofia. »Sie war eine Zauberin«, sagte Lydia. »Vor ihr habe ich mich gefürchtet.«
    »Ich nicht«, sagte Sofia. »Und Maria auch nicht.«
    »Ich möchte jedenfalls, dass du weißt, wie stolz ich auf dich bin«, sagte Lydia. »Durch dich ist mir eine Freude erhalten geblieben.« So hatte Lydia noch nie zu ihr gesprochen. Es war ein fremdes und ungewohntes Gefühl. Aber es machte Sofia froh.
    Lydia ging in die Hütte und legte sich schlafen. Da Sofia ihre Habseligkeiten schon gepackt hatte, blieb sie am Feuer sitzen. Bald hörte sie, dass Lydia eingeschlafen war. Sofia sah in die Flammen. Und jetzt traten alle Gesichter deutlich hervor. Da war Hapakatanda. Plötzlich konnte Sofia sich selbst als ganz kleines Kind sehen. Sie wurde hoch in die Luft geworfen und Hapakatanda zeigte ihr die Sonne. Da war Muazena, da war Maria. Sofia dachte, vielleicht war es gar nicht so wichtig, ob man lebendig oder tot war. Man gehörte auf jeden Fall zur selben Familie. Jetzt verstand sie das Geheimnis des Feuers. Dort konnte sie alle wieder sehen, die zu ihr gehörten. Gleich, ob sie noch lebten oder tot waren, gleich, ob sie in der Nahe oder irgendwo weit weg wohnten. Im Feuer war alles bewahrt.
    Sie wusste nicht, wie lange sie sitzen blieb. Mehrere Male legte sie Holz nach, damit das Feuer erneut aufflammte. Es war der letzte Abend, dass sie an diesem Feuer saß. Frühmorgens würde sie aufbrechen. Und am Abend würde sie ihr erstes eigenes Feuer entzünden. Es war ein großer Augenblick, ein wichtiger Augenblick. Sie betrachtete ihre Beine, ihre Freunde. Sie hatten noch einen weiten Weg vor sich, viele Tage, viele Mondumläufe.
    Am nächsten Morgen stand sie früh auf. Lydia war schon wach. Verlegen sagten sie einander draußen vor der Hütte Lebwohl. »Wir leben im selben Dorf«, sagte Sofia. »Zwischen uns ist kein großer Abstand.«
    »Trotzdem fühlt mein Herz es so, dass du uns jetzt verlässt«, sagte Lydia. »Ich brauche Zeit, um mich daran zu gewöhnen.« Zum Abschied gab sie Sofia einen Korb mit Tomaten. Sofia trug ein Bündel auf dem Kopf. Es war schwer das Gleichgewicht zu halten, weil sie gleichzeitig darauf achten musste, wo sie ihre Krücken aufsetzte. Aber es ging, wenngleich es einige Zeit dauerte. Als sie ankam, sah sie als Erstes ein Schild, das am Baum neben der Hütte hing. Nähatelier. Besitzerin: Sofia Alface. Sie musste das Bündel vom Kopf nehmen und das Schild anschauen. Es glänzte im Sonnenlicht. Sofia Alface, dachte sie. Das bin ich. Niemand anders. Nur ich.
    An der Nähmaschine saß ein Junge. Er kam ihr entgegen und half Sofia das Bündel zu tragen. Sofia betrat ihr neues Haus. Fernanda hatte geputzt, alles war sauber und ordentlich gefegt. Sofia setzte sich auf das knarrende Bett und sah sich um. Außer dem Bett gab es nur noch zwei Stühle und einen wackligen Tisch. Aber das Dach war in Ordnung, es regnete nicht herein. Und die Strohwände mussten erst im nächsten Jahr wieder gerichtet werden. Das ist Sofia Alfaces Haus, dachte sie. Sie, die Totios Nähmaschine übernommen hat. Sie ging hinaus und setzte sich an die Maschine. Sie hob die Holzhaube ab. Dann holte sie eine Garnrolle hervor, befestigte sie und leckte am Fadenende. Schon beim ersten Versuch gelang es ihr, den Faden in das Nadelöhr einzufädeln.

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