Das Geheimnis des Scriptors
Frisch aus Rom eingetroffen, wahrte er den Schein. Er war wach. Nichts war davon zu sehen, dass er sein Mittagsmahl verzehrt oder Brettspiele gespielt hatte. Er hatte Schriftrollen für den Treueid mitgebracht, obwohl niemand vor der Tür Schlange stand. Er würde einen Offizier als Zeugen für die Dienstverpflichtung brauchen. Ich schätzte, dass er einen bereitstehen hatte.
Wunderlicherweise tat er so, als hielte er mich für einen Bewerber. Er schenkte mir ein breites Willkommensgrinsen, wenngleich ich bemerkte, dass er sich nicht die Mühe machte, nach seinem Stilus zu greifen.
Er wusste durchaus, dass ich ein anderes Anliegen hatte. Mit sechsunddreißig war ich sowieso zu alt. Ich hatte einen durchtrainierten Körper, der zu viel mitgemacht hatte, um sich freiwillig noch mehr aufzubürden. Meine saubere graubeige Tunika mit blaubeerfarbener Borte war maßgeschneidert, meine dunklen Locken waren von einem recht anständigen Barbier getrimmt worden, und ich hatte mir in den Thermen eine fachmännische Maniküre angedeihen lassen. Selbst wenn man meinen festen Blick und die verschlagene Haltung nicht bemerkte, hätte Rusticus, nachdem ich meine Daumen in den Gürtel hakte, erkennen sollen, dass es ein verdammt guter Gürtel war. Sichtbar an der linken Hand trug ich einen goldenen Ritterring. Ich war ein freier Bürger, und ich war vom Kaiser in den mittleren Rang erhoben worden.
»Mein Name ist Falco. Ein Freund von Petronius Longus.«
Petro gehörte zur Vierten Kohorte. Rusticus musste zu einer anderen gehören, wenn auch nicht unbedingt zur Sechsten, die momentan hier Dienst tat. Er räumte ein: »Ja, Petronius hat mit mir Anwerbungen überwacht.«
»Ein guter Bursche.«
»Scheint so. Was wollen Sie von mir, Falco?«
Ich setzte mich auf einen Hocker. Er war niedriger als seiner, damit sich nervöse Rekruten verletzlich fühlten, wenn sie um Aufnahme baten. Diese uralte Masche hatte bei mir keine Wirkung. »Ich führe offizielle Ermittlungen zu einem Mann aus dem Palastsekretariat durch, der vermisst wird.« Obwohl »offiziell« etwas übertrieben war, galt der Tagesanzeiger als Sprachrohr des Palastes, und die Scriptoren würden mich aus öffentlichen Geldern bezahlen.
»Wundert mich, dass die das überhaupt bemerkt haben!« Rusticus und ich waren noch keine Freunde. Vermutlich würden wir das nie sein. Doch er zeigte Interesse.
»Allerdings. Es könnte zwar ein falscher Hinweis sein, Rusticus, aber jemand hat mir erzählt, dass mein Bursche vor kurzem versucht hat sich den Vigiles anzuschließen. Sein Name ist Diocles. Sollte er einen falschen angegeben haben, bin ich natürlich der Gelackmeierte.«
Rusticus zuckte mit den Schultern, lehnte sich dann auf seinem Hocker zurück und verschränkte die Arme. Er machte keine Anstalten, sich der Schriftrolle mit den neu angeworbenen Rekruten zuzuwenden, ja, er schaute sie noch nicht mal an. »Diocles? Den habe ich abgewiesen.«
Offensichtlich war der Andrang neuer Rekruten in Ostia nicht sehr groß, was ich jedoch für mich behielt. »Können Sie sich an die Umstände erinnern?«
Rusticus spitzte die Lippen. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit einem Privatermittler zu spielen. »Ich erinnere mich, denn wenn er nicht einbeinig ist – nein, stimmt, wir haben mal einen amputierten Moesier aufgenommen, und er ist hervorragend rumgehopst, bis er durch einen Boden fiel –, lehnen wir selten jemanden ab.«
»Fehlte ihm denn was?«
Rusticus ließ sich wieder Zeit. »Diocles. Dünner Bursche. So eine Art unaufdringliche Made. Er kam reingetrottet, und er hatte die richtigen Sprüche parat. Sei Sklave gewesen, aber freigelassen worden. Hätte vergessen, seine Beglaubigung mitzubringen, könnte sie aber nachreichen. Wollte ein neues Leben anfangen, mit der Chance auf das Bürgerrecht und die Getreidezuteilung. Sagte sogar, er wolle dem Imperium dienen. Manche von denen glauben, sich als Patriot zu geben sei eine Empfehlung, wobei ich persönlich es natürlicher finde, wenn sie nur auf freie Verpflegung und Spaß mit Feuer aus sind.«
Ein Zyniker. Ich grinste anerkennend. Vielleicht erwärmte er sich ein bisschen. Oder nicht. Ich entschied, dass er nur ein unangenehmer Dreckskerl war.
»War er zu alt?«
»Ich glaube, er sagte achtunddreißig. Nicht zu jenseitig, wenn sie zäh sind.«
»Warum haben Sie ihn dann abgelehnt?«
»Keine Ahnung.« Rusticus dachte darüber nach, als würde er über sich staunen. »Palastsekretariat, sagen Sie? Das passt.
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