Das Geheimnis meiner Mutter
empfindest.“
„Ich … Daisy, das kann ich nicht, weil ich nicht weiß, was ich fühle. Es gibt keine einfache Lösung für deine Situation.“
„Du bist mit neunzehn schwanger geworden und hast Dad geheiratet und mich bekommen. Wünschst du dir, du hättest es nicht getan? War es ein Fehler? War Max einer? Oder die vergangenen achtzehn Jahre?“
„Natürlich nicht. Dich zu bekommen war das Beste und auch das Schwerste, was ich je getan habe. Jura zu studieren, Fälle zu vertreten, das war alles nichts gegen die Versuche, dich nachts zum Schlafen zu kriegen und dich zu beschützen. Das Einzige, was es mir erträglich machte, war, deinen Dad, meinen Partner, meinen Ehemann, als Unterstützung zur Seite zu haben.“
„Aber jetzt seid ihr geschieden, und wir sind alle unglücklich.“
„Unsere Leben sind anders, aber nicht unglücklich.“
Das ist vielleicht deine Meinung, dachte Daisy; ich bin definitiv unglücklich.
Sophie rieb sich den Handrücken. „Ich bereue gar nichts aus den vergangenen achtzehn Jahren“, sagte sie. „Wir waren eine glückliche Familie, aber dein Dad und ich haben aufgehört … zusammen glücklich zu sein. Das passiert.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Vielleicht solltest du ein bisschen mehr darüber nachdenken, mit Logan zu sprechen …“
„Auf gar keinen Fall.“ Die Entscheidung war ihr leichtgefallen. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie zu Logan O’Donnell ging und ihm von dem Baby erzählte. Das Szenario war beinahe zum Lachen – sie und Logan, die gemeinsam ein Baby aufzogen. Logan hatte ein großes Ego und eine gefährliche Neigung zu Bier und Schlimmerem. Mit ihm zu leben wäre, wie zwei Kinder aufzuziehen, von dem sich eines äußerst schlecht benahm.
Sie hatte auch lange darüber nachgedacht, das Kind alleine aufzuziehen. Für eine junge, alleinerziehende Mutter ohne Collegeausbildung und mit nur wenigen Joberfahrungen war das eine große Herausforderung. Die Beraterin, mit der sie sich mehrmals getroffen hatte, hatte ihr wieder und wieder eingehämmert, dass diese Entscheidung unwiderruflich wäre. Ein Kind alleine aufzuziehen bedeutete, kein zweites Paar Hände zu haben, die einem halfen, kein zweites Einkommen, um den Lebensunterhalt zu sichern, keine Schulter, an die man sich in schweren Zeiten anlehnen konnte. Auch wenn sie eine liebevolle, unterstützende Familie hatte, würde sie sich als alleinerziehende Mutter schlussendlich doch nur auf sich selbst verlassen können. Das war der Punkt, der Daisy am meisten Angst machte – dass sie bei dem Baby irgendwie versagte, ihm unabsichtlich schadete durch ihre Ungeschicklichkeit oder Unfähigkeit. Dass ein unschuldiges Kind das Opfer ihrer eigenen Dummheit werden könnte. Und ja, sie gab es zu, sie war auch egoistisch. Sie wusste, wenn sie sich entschied, die Schwangerschaft durchzuziehen, wäre ihre Jugend vorbei. Sie war aber noch nicht bereit, ihre Freiheit und Abenteuerlust aufzugeben, nicht mehr auf Konzerte zu gehen und die ganze Nacht wegzubleiben, die Welt zu sehen und vielleicht eine berühmte Fotografin zu werden.
Die Klinik war in einem erstaunlich wohnlichen, älteren Gebäude untergebracht, das nur ein paar Straßen vom Krankenhaus entfernt stand. Hier musste sie noch ein weiteres Beratungsgespräch über sich ergehen lassen. Ihr wurde genau erklärt, was auf sie zukäme und was in welcher Reihenfolge passieren würde. Am Ende der vierundzwanzig Stunden wäre sie nicht länger schwanger. Sie wäre … leer. Bei dem Gedanken, ob sie wirklich das Richtige tat, litt sie Höllenqualen. Sie dachte an Sonnet, deren Mutter sich dem gleichen Dilemma gegenübergesehen hatte. Und an Jenny, ihre Cousine, die nie geboren worden wäre, wenn ihre aus Versehen schwanger gewordene Mutter sich ihrer entledigt hätte. Sobald das hier vorbei war, würde Daisy es nicht wieder rückgängig machen können. Die Endgültigkeit dieser Entscheidung ließ sie erschaudern.
Der Warteraum war zur Hälfte gefüllt. Eine Frau starrte auf den Boden, als wäre sie hundemüde oder zutiefst beschämt. Eine andere saß krank und verzweifelt aussehend auf ihrem Stuhl. Eine weitere sah richtiggehend wütend aus.
Zwei Mädchen, die noch jünger waren als Daisy und aussahen wie Schwestern, saßen nebeneinander und flüsterten und kicherten nervös. Daisy konnte sich nicht vorstellen, zu irgendjemandem ein Wort zu sagen. Soweit es sie betraf, war das hier kein Thema für belanglose Unterhaltungen.
Sie musste einen Fragebogen
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