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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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besser durchdenken sollen. Dann wäre ihr aufgefallen, dass es unmöglich war, vor sich selber davonzulaufen. In der Stadt zu sein und einen Literaturagenten zu treffen, der ihr genau darstellte, wie viel Arbeit sie noch zu leisten hatte, hatte ihr die Wahrheit gezeigt. Sie war wie ihr unfertiges Buch – noch in Arbeit. Und das Leben in der Stadt war schließlich doch nicht das, was sie wollte.
    Mit einer gewissen Schwere in den Knochen sammelte sie ihre Habseligkeiten aus dem Gepäcknetz und ging zur Tür. Sie stieg aus und wurde auf dem Bahnsteig sofort von einem eisigkalten Lufthauch begrüßt, der nach Ruß und dem verbrannten Diesel der Lokomotive roch. Als die Wolke aus Schnee und Staub sich legte, tauchte Rourke wie eine Traumgestalt auf. Sehr wie aus Casablanca , bis hin zu seinem finsteren Gesichtsausdruck.
    Sie erinnerte sich auf einmal an den Tag, an dem sie sich mit Joey verlobt hatte. Rourke hatte ihr damals etwas sagen wollen, und wenn sie es zugelassen hätte, wäre alles vielleicht anders gekommen. Und wenn sie hundert Jahre alt würde, würde Jenny niemals den Blick aus Rourkes Augen an diesem Tag vergessen. Sie waren hart und kalt geworden bei ihren Worten. Joey hat mich gebeten, ihn zu heiraten.  Einen Moment lang, dachte sie, einen Moment lang habe ich meine wahren Gefühle wanken lassen. Ein Moment des Zweifels, und sie hatte Joey die Tür geöffnet. Ein Moment, und sie hatte das Leben von drei Menschen ins Chaos gestürzt.
    „Wage es ja nicht, ‚Ich hab’s dir doch gesagt‘ zu sagen“, warnte sie Rourke. Sie fragte sich, ob sich die Erinnerungen auf ihrem Gesicht spiegelten.
    „Ich glaube, das brauche ich gar nicht“, erwiderte er, allerdings ohne das geringste Anzeichen von Genugtuung in der Stimme.
    Sie stand da wie der letzte Idiot. Sollte sie ihn umarmen? Ihm einen Kuss auf die Wange geben? Was erwartete er? „Ich wusste nicht, dass du mich abholen würdest“, sagte sie schließlich.
    Er nahm ihr den schweren Koffer ab und ging auf den Ausgang zu. Keine Umarmung. Nicht einmal ein „Hey“. Selbst ein Lächeln war wohl zu viel verlangt. Vielleicht hatte sie sich den Abschiedskuss nur eingebildet? „Ich nahm an, dass du eine Mitfahrgelegenheit brauchst“, sagte er.
    „Danke, Rourke.“
    „Danke mir noch nicht. Ich bin nur hier, um dich abzufangen.“
    „Was?“
    „Um dich davon abzuhalten, ins Camp Kioga zu ziehen.“
    Ihre Schritte knirschten auf der vereisten Schneedecke des Parkplatzes. „Dann hast du einen Weg umsonst gemacht“, sagte sie. „Ich habe mich entschieden. Für die absehbare Zukunft wird das meine neue Adresse sein.“
    Er warf ihr Gepäck hinten in den Ford Explorer. „Das ist zehn Meilen entfernt von allem.“
    „Was ich extrem ansprechend finde, vor allem nach der Erfahrung eines Lebens in der Stadt.“ Sie stieg auf der Beifahrerseite ein.
    „Du bleibst bei mir“, sagte er und startete den Motor.
    Sie lachte. „Ich liebe Männer, die sich nicht zu schade sind, Leute herumzukommandieren.“
    „Ich meine es ernst, Jenny.“
    Sie hörte auf zu lachen. „Oh mein Gott. Das tust du wirklich.“
    „Mitten im Winter so weit weg von allem zu wohnen, ist keine gute Idee.“
    „Genauso wenig, wie mich herumzukommandieren.“
    „Das hat nichts mit Kommandieren zu tun. Es gibt einfach zu viele Gründe, die dagegensprechen.“
    „Das sind deine Gründe, nicht meine.“
    Er bog in die Lieferzone hinter der Bäckerei ab, wo ihr Auto in einem Schuppen stand. Jenny versuchte, die verwirrende Bandbreite an Emotionen zu durchdringen, die in ihr tobten. Sie war zwar widerstrebend, aber dennoch unbestreitbar froh, ihn zu sehen. Und irgendwie aufgeregt und gleichzeitig genervt, dass er sich Sorgen um sie machte.
    „Ich habe einen Vorschlag“, sagte sie. „Ich rufe dich jeden Abend an, damit du weißt, dass der Axtmörder mich noch einen Tag verschont hat.“
    „Das reicht mir nicht.“
    „Mir schon“, sagte sie. „Nimm es oder lass es.“
    Schweigend trug er ihr Gepäck von seinem Auto zu ihrem. Fein, dachte sie. Soll er doch schmollen. Es war nicht ihre Aufgabe, ihn davon abzuhalten, sich um sie zu sorgen.
    „Ich kann ganz gut auf mich aufpassen“, versicherte sie ihm. „Das habe ich schon mein ganzes Leben lang getan, und das werde ich auch weiter tun. Komm, gehen wir noch kurz in die Bäckerei, dann schenke ich dir ein Napoleon.“
    Sie betraten die Bäckerei durch die Hintertür und wurden von einer Kakophonie an geschäftigen Geräuschen begrüßt:

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