Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
und ihre Hilfe brauchte? Man konnte in einer solchen Situation nicht einfach abwarten; hier war Handeln angesagt.
Vanessa stellte die Laterne auf den Boden, um beide Hände frei zu haben, und bückte sich nach dem ersten Stein. Als sie ihn beim Aufheben an die Brust drückte, zerbröckelte das kalkhaltige Gestein zwischen ihren Fingern und machte es ihr schwer, ihn festzuhalten. Dann hob sie einen weiteren auf. Dieser riss ihr den Fingernagel auf, der so dicht an ihrer Fingerspitze abbrach, dass sie schon damit rechnete, Blut zu sehen. Aber diese winzige Verletzung war bedeutungslos im Vergleich zu Graemes, dessen Arm von einem Stalaktiten durchbohrt worden war.
Einen nach dem anderen entfernte sie mehrere Steine und legte sie hinter sich ab. Trotz der kalten Luft in der Höhle kam sie durch die Anstrengung so sehr ins Schwitzen, dass der Schweiß ihr den Rücken hinunterlief und ihr Kleid anfing, an ihrer Haut zu kleben. Aber sie hatte es fast geschafft: Der Durchgang war schon beinahe breit genug. Sie machte sich daran, noch ein paar weitere Steine aus dem Weg zu räumen, und endlich hatte sie genug entfernt, um sich durch die Öffnung hindurchzwängen zu können.
Nachdem sie ihre Laterne wieder aufgehoben hatte, holte Vanessa tief Luft und stieg durch die Spalte zur anderen Seite hinüber. Vorsichtig setzte sie einen Fuß in den anderen Tunnel und wartete auf eine weitere Explosion. Aber nur das Geräusch ihres eigenen Atmens war zu hören, und so machte sie einen weiteren Schritt. Der Boden unter ihren Füßen war fest, und sie hoffte nur, dass dort, wo er hinführte, keine weiteren Gefahren warteten.
Kalkstaub drang beim Einatmen in ihre Lungen, und die von den Steinwänden ausgehende Kälte schien von allen Seiten auf sie einzudringen. Aber sie hatte sich noch nie von Furcht aufhalten lassen. Sie würde einfach ein paar Meter weitergehen und sehen, ob sie einen Ausgang oder einen Weg zurück zu Graeme entdeckte. Und wenn bei ihrer Suche nichts herauskam, würde sie zurückkehren und auf Graeme warten.
Um sich selbst Gesellschaft zu leisten, redete sie im Gehen und rezitierte Formeln, Gedichte und sogar einige von Jeremys Notizen. Sie folgte dem Tunnel bis zu der Stelle, an der ein großer Felsblock ihn versperrte. Da es unmöglich schien, daran vorbeizukommen, sah es nun ganz so aus, als wäre sie in eine weitere Sackgasse geraten.
Der mächtige Felsbrocken nahm fast die ganze Tunnelbreite ein. Bei näherer Untersuchung konnte Vanessa leicht erkennen, dass dieser große Fels nicht aus dem gleichen Stein war wie der Rest der Höhle, was nur eine Schlussfolgerung zuließ: Er war mit voller Absicht hier platziert worden.
Vanessa hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass kein Wissenschaftler Größe erlangte, wenn er beim ersten Hindernis schon aufgab, und deshalb würde sie erst umkehren, wenn alle Möglichkeiten erschöpft waren, an diesem Felsbrocken vorbeizukommen. Entschlossen kniete sie sich hin und suchte in ihrer Tasche nach irgendetwas, das ihr nützlich sein könnte. Aber die mitgebrachten Werkzeuge waren nur für feinere Arbeiten geeignet.
Noch immer kniend, beugte Vanessa sich vor und betastete den Fuß des Felsens. Jemand hatte das Ding hierher gebracht, und deshalb würde es sich doch sicher auch wieder entfernen lassen. In ihren Fachzeitschriften hatte sie von solchen Dingen gelesen. Männer auf der Jagd nach Antiquitäten stießen oft auf raffinierte Fallen und Mechanismen, die dazu gedacht waren, gewöhnliche Abenteurer abzulenken.
Ihre Laterne spendete nur wenig Licht, doch das hielt Vanessa nicht davon ab, ihre Hände zu gebrauchen. Sie strich langsam über die Wände, die den Felsbrocken umgaben, und suchte nach einem Hebel oder irgendetwas, das den Felsen aus dem Weg bewegen würde. Spinnweben hefteten sich an ihre Finger, und sie ignorierte das Bedürfnis, die Hand wieder zurückzuziehen. Sie war eine ernsthafte Wissenschaftlerin, und das bedeutete, dass man sich auch die Hände schmutzig machen musste. Trotzdem lief es ihr kalt über den Rücken.
Für einen Moment geriet sie aus dem Gleichgewicht und griff mit ihrem linken Arm nach hinten, um sich an der Wand abzustützen. Sie hatte sich gerade wieder gefangen, als ihre Hand über eine raue, ein wenig hervorstehende Stelle glitt. Sie fühlte sich auf jeden Fall nicht so an, als gehörte sie in die Höhlenmauer; vielleicht war dies der Hebel, den sie suchte? Vanessa drehte sich um, hielt die Laterne näher an das Gestein und sah den
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