Das Geheimnis von Ella und Micha: Ella und Micha 1 - Roman (German Edition)
fege die aufgereihten Flaschen hinein. Dann ziehe ich den schwarzen Müllbeutel aus dem Eimer, schnüre ihn zu und halte ihn weit weg von mir. »Mann, wie das stinkt!«
»Du räumst immer noch hinter Dad her, wie ich sehe.« Dean betritt die Küche. Er hat eine Baumwollhose und ein Button-down-Hemd an, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt sind. Sein dunkelbraunes Haar ist kurz geschnitten, sodass man die Narbe oben an seiner Stirn sieht, wo ich ihn versehentlich erwischt hatte, als wir mit einer Zeltstange und einem Basketball Baseball spielten. »Nichts ändert sich hier, nicht mal, wenn man ein Jahr weg ist.« Er öffnet den Kühlschrank und nimmt sich ein Bier. »Obwohl … du siehst anders aus. Hast du endlich mal deinen Grusellook abgelegt?«
»Interessiert dich das überhaupt?« Ich schleife den Müllsack zur Hintertür. »Ich würde sagen, du hast das letzte Mal hinreichend klargemacht, dass es dich einen Dreck schert, was mit mir passiert.«
Er schnippt den Flaschendeckel ab. »Reitest du immer noch darauf herum?«
»Du hast behauptet, dass ich unsere Mutter umgebracht habe«, sage ich ruhig. »Wie soll ich da drüber weg sein?«
Er trinkt sein Bier und zuckt mit den Schultern. »Ich dachte, du bist weg, um ein eigenes Leben anzufangen.«
Ich hole tief Luft. »Ich habe nichts angefangen, sondern bin geflohen, so wie du.«
»Ich bin aus demselben Grund weggelaufen wie du, nämlich weil hierzubleiben heißt, dass man sich mit der Vergangenheit beschäftigen muss. Und unsere Vergangenheit ist die Art, die man lieber wegschließt und nie wieder hervorholt.«
»Du meinst Moms Tod und die Tatsache, dass es meine Schuld ist, dass sie tot ist. Oder dass ich für ihren Tod verantwortlich bin.«
Er pult das Flaschenetikett ab. »Wieso musst du in allem so direkt sein? Du bringst andere absichtlich in Verlegenheit.«
Ja, ich falle in alte Gewohnheiten zurück, und ich muss mich dringend zusammennehmen. Doch zuerst mal öffne ich die Hintertür und schleudere den Müllsack auf die Verandatreppe. »Willst du was zum Abendessen holen oder so? Wir können auch nach Alpine fahren, wo uns keiner kennt.«
Er schüttelt den Kopf, stürzt den Rest Bier herunter und wirft die leere Flasche in den Müll. »Ich bin nur hergekommen, um meine restlichen Sachen zu holen. Danach verschwinde ich wieder. Auf mich wartet anderswo Wichtigeres als Familiendrama und ein Alkoholikervater.«
Er lässt mich in der Küche stehen. Wenige Sekunden später wird die Musik oben noch lauter gedreht. Es ist ein poppiger Rhythmus, der mich wahnsinnig macht, weshalb ich das Küchenradio anschalte und mit »Shameful Metaphors« von Chevelle dagegenhalte.
Während ich die Küche ausfege, verdränge ich jeden Gedanken an das, was er gesagt hat. Deans Hobby ist seit jeher, an mir herumzumeckern, aber bei der Beerdigung übertrat er eine Grenze, und das lässt sich nie wieder hinbiegen.
Die Hintertür fliegt auf, und Wind bläst herein, als mein Dad in die Küche torkelt. Seine Schuhe sind nicht zugebunden, seine Jeans ist zerrissen, und sein rotes Hemd ist voller Dreck und Schmiere. Eine Hand ist mit einem blutdurchtränkten Lappen umwickelt.
Ich lasse den Besen fallen und laufe zu ihm. »Mein Gott, was ist mit dir passiert?«
Er zuckt vor mir zurück, nickt und stolpert zur Spüle. »Hab mich bloß bei der Arbeit geschnitten. Ist nichts weiter.«
Ich stelle die Musik leiser. »Dad, hast du bei der Arbeit getrunken?«
Er dreht den Wasserhahn auf, und sein Kopf sinkt nach vorn. »Die Jungs und ich hatten ein paar Schnäpse in der Mittagspause, aber ich bin nicht besoffen.« Er wickelt den Lappen ab und hält die Hand unter Wasser. Als sich das Wasser mit seinem Blut vermischt, seufzt er erleichtert. »Ist dein Bruder zu Hause? Mir war so, als wenn sein Wagen draußen steht.«
Ich schnappe mir Küchenpapier und wische das Blut von der Arbeitsfläche und dem Boden. »Er ist oben und packt seinen Kram zusammen.«
Dad tupft sich die Hand mit Küchenrolle trocken und verzieht das Gesicht. »Tja, das ist gut, nehme ich an.«
Ich sehe mir seine Hand genauer an. »Soll ich dich zum Arzt fahren? Das sieht aus, als müsste es genäht werden.«
»Nein, geht schon.« Er greift nach einer Wodkaflasche, nimmt einen Schluck und gießt sich dann von dem Zeug über die Hand.
»Dad, was machst du denn?« Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten vom Regal über der Spüle. »Du musst den Wundalkohol nehmen, nicht das da!«
Er beißt die Zähne zusammen
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