Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
Summerstone.«
»Hier sieht es überhaupt nicht aus wie auf der Broschüre«, sagte Lulu irritiert.
Madeleine und Theo schwiegen, aber auf ihren Gesichtern malte sich derselbe schockierte Ausdruck wie auf dem Lulus. Offenkundig hatten alle vier die gleiche Broschüre mit einem bildschönen, gepflegten Gelände erhalten, auf dem Kinder herumrannten und spielten. Das hier war ein abgelegenes, dunkles Herrenhaus, dessen beste Tage längst vorbei waren.
Eine perplexe Lulu stieg als Erste aus, dicht gefolgt von dem beunruhigten Theo. Er wollte weinen, aber er befürchtete, Lulu würde ihn dann wieder ausschimpfen. Sie schüchterte ihn ein wenig ein. Dann stieg Garrison aus und war dankbar dafür, dass es hier anscheinend kein Schwimmbecken gab. Nur Madeleine blieb im Auto sitzen, die Hände brav im Schoß gefaltet. Als der Sheriff merkte, dass sie sich nicht rührte, streckte er seinen Kopf ins Auto.
»Sheriff, ich würde lieber hier drin bleiben. Dort draußen sieht es sehr spinnenfreundlich aus.«
»Ich fürchte, das geht nicht, mein Fräulein. Ich muss den Van in die Stadt zurückbringen. Aber keine Sorge, Schmidty wird euch ins Haus bringen und mit eurer Lehrerin bekannt machen.«
Madeleines Magen drehte sich beinahe um, als sie über den Sitz kletterte, um auszusteigen. Sie musste nach draußen, sonst würde sie sich vor Aufregung übergeben. Madeleine stellte erst den rechten, dann den linken Fuß auf die Stufen. Sie sprühte ununterbrochen um sich, während der alte Mann die Haustür öffnete.
»Sheriff, ehe Sie wegfahren, brauche ich Mak zurück«, erklärte Schmidty würdevoll.
»Natürlich, den hätte ich fast vergessen.«
Der dicke Hund sprang gemächlich unter dem Fahrersitz hervor in den Nebel hinaus, den Madeleine erzeugt hatte. Dann stieß er ein tiefes Grollen aus, um seine Kehle frei zu bekommen.
»Bis in sechs Wochen, Kinder«, sagte der Sheriff und winkte ihnen zum Abschied zu.
»Sechs Wochen?«, echote Garrison.
Keines der vier Kinder konnte sich vorstellen, es an diesem Ort auch nur eine Stunde auszuhalten - geschweige denn sechs Wochen.
9
Jeder hat vor etwas Angst: Kakophobie ist die Angst vor Hässlichkeit
D ie Eingangshalle von Summerstone war ungewöhnlich weitläufig. Eine rosarote Tapete mit stilisierten Lilienblüten begann sich knapp unter der Decke von der Wand zu lösen. Abgesehen von der herabhängenden Tapete war der Raum in tadellosem Zustand und blitzsauber. Zu Madeleines großer Erleichterung waren nirgends Spinnweben zu sehen. Vorsichtshalber sprühte sie dennoch einen Kreis rings um ihre Füße, was die anderen veranlasste, von ihr abzurücken. Schmidty ließ die Kinder in der Halle zurück, um den Sheriff mit dem Kran wieder vom Berg herunterzulassen.
Die vier standen unbehaglich um einen ovalen kastanienbraunen Tisch herum. Darauf stand eine Vase, die mit rosafarbenen Hortensien gefüllt war. Als die Kinder sich umsahen, fiel ihnen die Wand am anderen
Ende ins Auge, die mit Bildern von Schönheitsköniginnen dekoriert war. Alle hatten hochgesteckte Haare, Krönchen, Schärpen und unnatürlich glänzende Zähne. Das Geräusch von Schuhen, die über den Holzboden klapperten, unterbrach die Schüler beim Mustern der neuen Umgebung. Am oberen Ende der ausladenden Treppe stand in betont eleganter Haltung, das rechte Bein leicht angewinkelt vor dem anderen, eine ältere Dame, als posierte sie für ein Foto. Sie trug einen knielangen taubenblauen Rock und eine dazu passende Jacke.
Die Kleidung der Dame entsprach, wie die Inneneinrichtung des Hauses, dem Stil der 1950er-Jahre. Vier Augenpaare waren auf sie gerichtet, als sie die Treppe heruntertänzelte. Theo, Madeleine, Garrison und Lulu hatten keine Ahnung, worauf sie sich gefasst machen sollten, denn bisher war nichts so gewesen, wie sie es erwartet hatten.
Als die Dame näher kam, wurde ihre faltige, papierdünne Haut sichtbar. Sie hatte offenkundig viel Zeit darauf verwendet, genug Make-up aufzulegen, um ihr Alter zu verbergen. Die Dame hatte einen kaugummirosafarbenen Lippenstift, einen dicken schwarzen Lidstrich, falsche Wimpern und einen hellblauen Lidschatten aufgetragen, der zu ihrem Kostüm passte. Madeleine war dankbar, dass sie ihren Schleier nicht gehoben hatte. So konnte sie die merkwürdig aussehende Dame mit ihrer braunen Bubikopf-Perücke ungeniert anstarren.
Lulu musste sich das Lachen verkneifen, als sie eine Brille mit Schildpattfassung an einem goldenen Kettchen um den Hals der Dame hängen sah.
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