Das Geheimnis von Turtle Bay
nicht wussten, dass man sich nur in die Fingerspitze stechen soll.“
Ihre Stimme versagte, und sie musste sich räuspern. Tränen stiegen ihr in die Augen, während sie das große Pflaster auf seiner gebräunten Haut glatt strich. Sie knieten nun beide und lehnten sich mit Schulter und Hüfte gegen die Reling, damit sie nicht zusammenprallten, als Manny das Boot in Richtung Ufer steuerte.
„Cole, ich werde das nie wiedergutmachen können. Ich kann dir gar nicht genug für alles danken“ , platzte sie heraus, stand hastig auf und drehte sich weg, um ihre Ausrüstung aufzusammeln. Dann nahm sie, von ihm abgewandt, auf dem vorderen Sitz Platz und beugte sich über das auf ihrem Schoß liegende Blitzlicht.
Cole kam dazu und setzte sich neben sie. „Wenn das hier vorüber ist und wir Daria gefunden haben“ , sagte er und beugte sich vor, sodass nur sie ihn hören konnte, „dann werden wir uns überlegen, wie du mir danken kannst.“
Als an diesem Tag die Abenddämmerung einsetzte, saß Bree in ihrem Apartment am Tisch und studierte eine Seekarte, auf der jedes Riff und jede Unebenheit in diesem Teil des Golfs eingezeichnet war. Wie versprochen hatte sie verschiedene befreundete Taucher angerufen und sie gebeten, sich morgen an der Suche unter Wasser zu beteiligen. Jeder von ihnen – auch die, die sich dafür einen Tag Urlaub nehmen mussten – würde sich am nächsten Morgen um neun Uhr vor dem Geschäft einfinden. Als es an der Tür klingelte, zuckte sie zusammen. Vermutlich wieder ein Reporter.
Fast wünschte sie, sie hätte das Angebot von Josh und Nikki angenommen und sich ihren Leibwächter Mark Denton für eine Weile ausgeliehen. Offenbar war er nicht nur gut darin, jemanden zu beschützen, sondern konnte auch mit den Medien umgehen. Bree hatte sich zu einer kurzen Erklärung hinreißen lassen, als der Reporter von den Naples Daily News und ein Kamerateam von ABC-TV aus Fort Myers sie früher am Tag im Hafen entdeckt hatten. Aber sie beabsichtigte nicht, die Tür zu öffnen, nur um dem dritten Journalisten noch mal die gleiche Geschichte zu erzählen.
Aber was, wenn jemand von den Suchteams etwas gehört hatte und ihr gute Neuigkeiten berichten konnte? Manchmal bekamen die Medien von Ereignissen Wind, noch bevor die Betroffenen selbst benachrichtigt werden konnten. Oder vielleicht war Cole noch mal vorbeigekommen. Er sagte, er würde seine Verletzung behandeln lassen und vor morgen früh nicht wieder herkommen, außer sie wollte, dass er die Nacht auf ihrem Sofa verbrachte, damit er auf sie aufpassen konnte. Zu gern hätte sie dieses Angebot angenommen, doch sie erwiderte, das sei nicht nötig. Wiederholt hatte sie heute in ihrer Verzweiflung Dinge getan, die sie nicht hätte tun sollen, und sie fürchtete sich vor dem, wozu sie sich womöglich verleiten lassen würde, wenn sie sich an Cole festhalten konnte.
Vorsichtig schaute sie aus dem Fenster ihres Apartments, von dem aus sie die Straße sehen konnte. Doch da unten stand kein Übertragungswagen eines Fernsehsenders, sondern ihr Schwager Ben. Er hielt die Arme verschränkt und sah nach oben. In der Dämmerung schien sein vorzeitig ergrautes Haar ebenso zu leuchten wie das weiße, bis zu den Ellbogen hochgekrempelte Hemd. Wie üblich verriet seine ungelenke, steife Körpersprache alles über sein stählernes Rückgrat. Bree winkte ihm zu und lief nach unten, um ihm die Tür zu öffnen.
Sie war stolz auf ihn, weil er so ein aufrechter und unnachgiebiger Ankläger war, doch sie fand auch, dass er allzu oft im Privatleben genauso feindselig auftrat wie im Gerichtssaal. Im November stellte er sich so wie Josh zur Wahl, weshalb er wiederholt beklagte, dass er in letzter Zeit keinen hochkarätigen Fall zu verhandeln hatte, mit dem er sich in der Öffentlichkeit hätte profilieren können. Im Gegensatz zu anderen gewählten Beamten gab er nur selten Geld für Werbekampagnen aus. Wie es schien, reichten sein Name und genügend Auftritte vor Fernsehkameras aus, um eine Wiederwahl zu gewährleisten.
Zweifellos hatte Amelia ihn hergeschickt, aber vermutlich wäre er auch aus freien Stücken gekommen, wenn sich die Gelegenheit ergab, seiner unbelehrbaren Schwägerin den Kopf zu waschen.
„Du hättest nicht extra herkommen müssen“ , begrüßte sie ihn und ließ ihn in ihre Wohnung. „Mir geht’s gut, und ein Anruf hätte auch genügt.“
„Dein Telefon war stundenlang besetzt. Außerdem hatte ich in der Nähe zu tun. Genauer gesagt, es geht um unseren
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