Das Geheimnis von Winterset
denn?"
„Du solltest hierbleiben."
„Nein, ich bleibe bei dir", beharrte Anna.
Zunächst wollte Kit widersprechen, hob dann jedoch wortlos seine Hände und ließ sie resigniert wieder sinken.
„Einverstanden. Wir haben jetzt keine Zeit, uns zu streiten."
In der Küche nahm er sich eine Laterne vom Haken und zündete sie an. Hargrove und die anderen waren Kit und Anna gefolgt, und der Butler verteilte die restlichen Laternen an kleine Gruppen von zwei bis drei Dienern.
Anschließend verließen sie alle gemeinsam das Haus und verstreuten sich über das Grundstück.
Kit und Anna gingen durch den Garten und sahen sich aufmerksam in alle Richtungen um. Sie wollten bei den Bäumen im hinteren Teil des Gartens suchen, doch noch bevor sie dort ankamen, hörten sie plötzlich einen Schrei.
Rasch hasteten sie zurück in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Nicht weit vom Haus entfernt stießen sie auf Hargrove und einen Hausdiener, die sich über eine Person beugten, die am Boden lag. Als Kit und Anna näher kamen, erkannten sie einen von Reeds Dienern, der draußen Wache gestanden hatte. Er war bewusstlos.
„Jemand hat ihm ordentlich eins über den Kopf gezogen", meinte Hargrove. „Er hat eine gewaltige Beule."
Zusammen trugen sie den bewusstlosen Diener ins Haus und legten ihn auf den Tisch in der Küche, wo Anna sich die Wunde ansah. Die anderen gingen derweil wieder hinaus, um ihre Suche fortzusetzen, wenngleich sie kaum noch daran glaubten, den Eindringling aufspüren zu können.
Anna legte einen Verband an, und sobald der verletzte Diener wieder zu sich kam, gab sie ihm ein wenig von dem Kopfschmerzpulver, das Dr. Felton für Kit dagelassen hatte. Recht bald schon kehrten die Männer wie erwartet mit der Nachricht zurück, dass sie auf dem Grundstück niemanden mehr hatten finden können.
Anna warf ihrem Bruder einen besorgten Blick zu. Allem Anschein nach wollte Kits Angreifer sein Vorhaben nicht so einfach aufgeben. Sie musste unbedingt herausfinden, wer hinter diesen Morden steckte - und das so bald wie möglich.
Am nächsten Morgen machten Anna und Reed sich auf den Weg zu Nick Perkins. Der alte Mann begrüßte sie herzlich, obschon ihm anzusehen war, dass er sich über ihren Besuch etwas wunderte.
„Kommen Sie nur herein. Ich werde uns gleich einen Tee kochen."
„Wir wollten nicht lange bleiben", entgegnete Anna ein wenig verlegen.
Auf einmal wusste sie nicht mehr, wie sie sich Nick gegenüber verhalten sollte. Wenn sie ihn ansah, empfand sie genau dieselbe Zuneigung und Freundschaft, die sie schon immer für ihn gehabt hatte. Zugleich aber musste sie daran denken, dass er Lady de Winter geholfen hatte, die Morde ihres Mannes zu vertuschen. Anna verstand zwar nun, dass er ihr nur deshalb die Wahrheit verschwiegen hatte, weil er sie davor bewahren wollte, zu erfahren, dass ihr Großvater verrückt und ein Mörder gewesen war, trotzdem verletzte es sie, von ihm belogen worden zu sein.
„Bedrückt Sie etwas, Miss Anna?", fragte Nick und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn.
„Wir haben gestern einige Dinge herausgefunden", meinte Reed. „Und darüber würden wir gerne mit Ihnen sprechen."
Der alte Mann sah sie beide argwöhnisch an, führte sie aber dennoch in das Wohnzimmer und deutete auf die beiden Sessel. Er selbst setzte sich ihnen gegenüber.
„Was möchten Sie denn wissen?"
„Wir haben gestern erfahren, dass Sie damals Susan Emmett gefunden hatten", teilte Anna ihm mit.
Perkins zog die Augenbrauen in die Höhe. „Ja, das stimmt."
„Davon haben Sie mir nichts erzählt, als ich von Ihnen etwas über die Morde wissen wollte."
Er zuckte mit den Schultern. „Was hätte es Ihnen schon bringen sollen, wenn Sie es gewusst hätten?"
„Sicherlich glauben Sie doch auch, dass es durchaus interessant für uns gewesen wäre, zu wissen, dass Sie dabei behilflich waren, den Mörder zu decken?", entgegnete Anna aufgebracht. Mit einem Schlag schossen ihr Tränen in die Augen.
Perkins sah sie bestürzt an. „Miss Anna ... wie ... wer hat Ihnen das erzählt?"
„Sie streiten es also nicht ab", stellte sie mit einem verletzten Unterton in der Stimme fest. „Nick, wie konnten Sie so etwas nur tun?"
Der alte Mann seufzte und schien vor ihren Augen förmlich in sich zusammenzusacken. Er sah kurz zu Anna auf und begann dann: „Sie haben recht. Es war furchtbar, was ich getan habe, und ich gebe mir dafür nicht weniger Schuld als Sie es tun. Wenn ich anders gehandelt hätte, wäre
Weitere Kostenlose Bücher