Das Geheimnis von Winterset
lediglich mit einer knappen Verbeugung und wechselte einige wenige Worte mit ihnen. Dann versank er wieder in Schweigen und nickte nur ab und zu, während seine Frau und seine Tochter die Unterhaltung fast allein bestritten. Mrs. Bennett redete, und Felicity kicherte und kokettierte und warf Kit über ihren Fächer hinweg immer wieder vielsagende Blicke zu, die von diesem jedoch höflich übersehen wurden.
Irgendwann bemerkte Miles wahrscheinlich, dass seine sorgsam am Kamin eingenommene Pose ihn zwar sehr künstlerisch erscheinen ließ, ihn aber von der Unterhaltung ausschloss, denn nach einigen Minuten fand er sich zu dem kleinen Kreis um seine Eltern ein.
„Miles, da bist du ja!", rief seine Mutter so erfreut, als wäre er soeben aus fernen Gefilden zurückgekehrt. „Ich habe gerade Sir Christopher und Miss Anna davon erzählt, dass du all deine Zeit mit Schreiben verbringst." Mrs. Bennett wandte sich an Anna und fügte lächelnd hinzu: „Sie sollten ihn einmal sehen, wenn er stundenlang in seinem Zimmer sitzt und wie ein Besessener schreibt. Er lässt mich natürlich nie etwas davon lesen - aber junge Männer haben eben immer ihre Geheimnisse, nicht wahr?"
Strahlend sah sie ihren Sohn an, der einen sehr verlegenen Eindruck machte. Ihre Tochter nahm den Gesprächsfaden auf und bemerkte mit leisem Vorwurf: „Er macht nie etwas anderes - nur immer lesen und schreiben, schreiben und lesen. Ich kann einfach nicht verstehen, was er dabei findet."
„Natürlich nicht", erwiderte Miles barsch und bedachte seine Schwester mit einem finsteren Blick.
„Ich lese auch sehr gerne", warf Anna versöhnlich ein und lächelte Miles dabei an. Zwar war er gerade wirklich sehr unhöflich gewesen, aber es war sicher auch eine schwere Bürde, solch eine Mutter und Schwester zu haben.
Miles lächelte daraufhin gleichfalls und sah sofort um einiges ansprechender aus. Er würde gut daran tun, seine düstere Dichterpose abzulegen und einfach öfter zu lächeln.
„Ich bin mir sicher, dass Sie es verstehen", versicherte er Anna überschwänglich. Hatte seine Mutter vielleicht doch recht gehabt? Der junge Mann machte auf Anna den Eindruck, als würde er sie allen Ernstes anhimmeln. Sie seufzte im Stillen und wusste, dass sie von nun an sehr darauf würde achten müssen, was sie zu Miles sagte, damit sie ihn nicht unabsichtlich noch weiter ermutigte.
Daher war sie recht erleichtert, als Dr. Felton sich zu ihnen gesellte und sie fragte, ob sie mit ihm ein wenig durch den Saal spazieren wolle. Der weitläufige Salon wirkte tatsächlich mehr wie ein Empfangsraum als ein Wohnzimmer. An den Wänden waren einige Stühle mit hohen Lehnen aufgereiht, und in der Mitte des Raums stand ein gewaltiger Tisch aus Teakholz. Für einen festlichen Abend wie diesen war der Salon jedoch geradezu ideal, bot er doch allen Gästen genügend Platz, sich in kleinen Gruppen zu unterhalten oder einfach nur ein wenig umherzuschlendern. Später, wenn Lady Kyria tatsächlich zum Tanz aufspielen ließe, musste nur der Tisch beiseite gerückt werden, um den Salon in einen kleinen Ballsaal zu verwandeln. Zudem war Winterset weithin für diesen Raum berühmt, da die stuckverzierte, tonnengewölbte Decke über und über bedeckt war mit Tierfiguren, von springenden Karpfen oder exotischen Elefanten und Nashörnern bis hin zu fantastischen Fabelwesen wie Greifen, Ungeheuern und Drachen.
„Eine sehr interessante Decke", bemerkte Dr. Felton nun und sah nach oben. „Von meinem Vater, der immer voll des Lobes von Winterset war, habe ich schon viel darüber gehört, sie aber noch nie mit eigenen Augen gesehen."
„Ja, mein Onkel hat nur selten Besuch empfangen", stimmte Anna zu und sah sich immer wieder unauffällig nach Reed um, damit sie ihm aus dem Weg gehen konnte.
„Wie geht es Ihrem Onkel?"
„Sehr gut, danke."
Sie gingen gerade in der Nähe des Pfarrers und seiner Frau vorbei, und Mrs. Burroughs drehte sich lächelnd zu ihnen um. „Täusche ich mich, oder habe ich Sie über Ihren Onkel sprechen hören?"
„Ja, Dr. Felton hat sich freundlicherweise nach seinem Befinden erkundigt."
„Der gute Lord de Winter", verkündete Mrs. Burroughs strahlend. „Er fehlt uns allen sehr. Nicht wahr, meine Liebe?"
Da ihr Onkel sich nur selten in der Kirche hatte blicken lassen, zweifelte Anna ein wenig an der Aufrichtigkeit dieser Bemerkung, sie lächelte hingegen nur und nickte.
„Wie lange ist er schon fort? Zehn Jahre ist es her, nicht wahr?" „Ja."
„Es
Weitere Kostenlose Bücher