Das Geheimnis
Kushida ihn mit dem Speerschaft schlug. Auf diese Weise musste der Leutnant die Wachposten vor den Villen an der Straße außer Gefecht gesetzt haben. Sano taumelte, sog vor Schmerz zischend die Luft durch die Zähne, gewann das Gleichgewicht wieder und attackierte Kushida mit dem Schwert.
Doch der Leutnant wich jedem Schlag aus. Das Gesicht zur Grimasse verzogen, die Zähne gefletscht, bewegte er sich mit atemberaubender Schnelligkeit. Immer wieder trafen Spitze und Schaft der naginata Sanos Schwert, wobei Kushida den Speer herumflirren ließ und mit dem metallbeschlagenen stumpfen Ende nach Sanos Armen und Beinen stieß. Wegen der kürzeren Reichweite des Schwertes kam Sano nicht nahe genug an den Gegner heran, um einen Treffer zu landen. Mit wirbelndem, immer wieder vorzuckendem Speer trieb Kushida den Gegner durchs Zimmer. Sano sprang nach hinten über eine eiserne Kiste, prallte gegen einen bemalten Wandschirm und täuschte einen Rückhandschlag vor. Kushida hielt den Speerschaft mit beiden Händen senkrecht vor sich, um den Hieb zu parieren. Blitzschnell änderte Sano die Schlagrichtung, hieb von oben nach unten und schlitzte Kushidas Arm auf; doch der Leutnant schien den Schmerz gar nicht zu spüren. Wieder griff er mit wilder Wut an und drängte Sano mit dem Rücken an die Wand.
Die Männerstimmen auf dem Flur näherten sich.
»Hier! Hier drin!«, rief Sano, der von Kushida immer mehr in die Enge getrieben wurde.
Eine Gestalt kam ins Zimmer gestürmt. Endlich Hilfe! Sano ließ den Blick in die Runde huschen – und seine Erleichterung verwandelte sich in Entsetzen.
In einem geblümten blassrosa und weißen Nachtgewand, das gelöste Haar bis zu den Knien, eilte Reiko herbei, ein Samuraischwert in den Händen. Ihre Augen funkelten vor Kampfeslust.
»Reiko! Zurück! Was tust du da?«, rief Sano und duckte sich unter der vorzuckenden, tödlichen Klinge an der Spitze der naginata.
»Ich verteidige mein Heim!«, stieß Reiko entschlossen hervor.
Mit erstaunlichem Geschick und Schnelligkeit sprang sie vor und attackierte Kushida. Ihr Schwert flirrte in einem silbernen Bogen herum und sprengte einen der metallenen Ringe, die den Speerschaft verstärkten.
Fassungslos sah Sano, dass nur ein Fingerbreit fehlte, und Reiko hätte den hölzernen Schaft der naginata durchtrennt. Es war ein Schlag, der einem Meister des Schwertkampfes zur Ehre gereicht hätte – und Reiko war klein und zierlich. Kushida wandte sich von Sano ab und attackierte nun Reiko, die den Speerstößen jedoch geschickt auswich. In Sano stiegen Angst und Entsetzen auf. Er drängte sich zwischen Reiko und den Leutnant und ließ das Schwert wirbeln.
»Das ist kein Spiel, Reiko! Mach, dass du rauskommst, bevor du verletzt wirst!«
»Zur Seite!«, zischte Reiko. »Überlass ihn mir.«
Auf ihrem Gesicht lag jener Ausdruck von Stolz und Erhabenheit, den Sano schon bei vielen kämpfenden Samurai gesehen hatte. Wieder attackierte sie Kushida; klirrend trafen die Klingen aufeinander. Anmutig wich Reiko einem Gegenangriff aus und führte eine Folge von Schlägen, die den Leutnant zwangen, zurückzuweichen. Doch einem solch überragenden Gegner konnte Reiko wohl nicht lange standhalten. In diesem Augenblicke, entschied Sano, Reiko niemals an seiner Arbeit als Ermittler teilhaben zu lassen, auf welche Weise auch immer. Sie war unvernünftig und leichtsinnig. Sie würde niemals erkennen, wann es Zeit war, aufzuhören.
Sano stellte sich neben seine Frau. Mit wuchtigen Schwerthieben drängte er Kushida zurück, packte Reikos freie Hand und stieß sie mit aller Kraft zur Seite.
Reiko wurde durch die offene Tür auf den Flur geschleudert und stieß einen zornigen Schrei aus. Sano hörte das Krachen, als sie gegen die gegenüberliegende Papierwand prallte. Reiko war in Sicherheit, doch der winzige Augenblick der Unaufmerksamkeit brachte nun Sano in höchste Gefahr, denn Kushidas vorzuckender Speer zielte auf sein Herz. Im letzten Augenblick warf sich Sano zur Seite, doch die Klinge fügte ihm eine Schnittwunde über den Rippen zu. Ein boshaftes Grinsen erschien auf dem Gesicht des Leutnants, während er wieder die naginata schwang. Sano wehrte sich mit wilder Wut, doch Kushida rückte unerbittlich vor, gewann immer mehr die Oberhand.
Plötzlich stürmte Hirata mit acht oder neun Sonderermittlern ins Zimmer. Mit gezogenen Schwertern umringten sie Leutnant Kushida. »Lasst den Speer fallen!«, befahl Hirata.
In die Enge getrieben spannte sich Kushidas
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