Das geheimnisvolle Gesicht
immer essen müssen, wenn Sie nach Hause kommen!“ grollte Dicki, beschloß dann jedoch, seinen Freund zu Ende essen zu lassen. Schließlich wollte er nicht, daß Perry Clifton ein Magengeschwür bekam. Und nach Bekundungen seines Großvaters bekam das derjenige, der während des Essens redete oder in einen ovalen Spiegel sah und Grimassen zog. Inwieweit das stimmte, wagte Dicki nicht zu beurteilen. Bei den Sprüchen seines Großvaters wußte er ohnehin nie, was ernst gemeint war und was nicht.
„Ob es ein schwieriger Fall wird, Dicki, kann ich dir heute noch nicht sagen!“
„In jedem Fall sind Sie hinter jemandem her, stimmt’s?“
Perry räumte das Geschirr in die Spüle, ließ Wasser drauflaufen, band sich die (zickige) Schürze ab und schloß das Fenster. Dann nahm er seine Teetasse und setzte sich Dicki gegenüber.
„Es stimmt, daß ich hinter jemandem her bin!“
„In Basel!“
„Ja, meine Aufgabe besteht darin, nach einer Frau zu forschen!“
„Und was hat diese Frau getan?“
„Ich weiß es nicht! Es klingt komisch, Dicki, aber zum ersten Mal kann ich dir keine Einzelheiten erzählen. Und das nicht nur, weil ich dazu angehalten wurde, sondern auch, weil es eine recht verworrene Geschichte ist.“
„Sie sind heute früh ziemlich zeitig weggefahren, stimmt’s?“
„Stimmt! Es war genau 7 Uhr. Hast du mich wegfahren sehen?“
„Ja, und ich weiß auch, daß Sie ziemlich weit weg waren.“ Dicki sagte das in einem Tonfall, als handle es sich bei diesem Wissen um eine ganz alltägliche Sache. „Mindestens zweihundert Meilen!“ behauptete er.
Perry Clifton war ernsthaft überrascht. Er hatte doch keinen Ton erzählt — oder? Nein, unmöglich, er hatte Dicki gestern ja gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. „Gut getroffen, Dicki!“ gab er zu. „Und woher weißt du das?“
„Als Sie heute morgen wegfuhren, war Ihr Wagen pieksauber und glänzte. Ich war vorhin, bevor ich zu Ihnen kam, für Dad am Zigarettenautomaten, da habe ich Ihren Wagen stehen sehen und unter die Lupe genommen. Ziemlich viel Schmutz unten herum. Und in den Felgen hängen teilweise Erdklumpen. Das heißt also, daß Sie nicht nur weit weg waren, sondern auch auf ziemlich miesen Feldwegen gefahren sein müssen. Daraus schließe ich, daß dieser Mister Burton was mit der Landwirtschaft zu tun haben könnte!“
Es hatte Perry Clifton im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen... Deswegen dauerte es einige Zeit, bis er sich darüber im klaren war, daß hier sein „Schüler“ gesprochen hatte. Das und die Art, wie Dicki hinter seinen Ausflug nach Duncan Hill gekommen war, verdiente eine echte Belohnung. (Trotz des kleinen Schönheitsfehlers mit der Landwirtschaft.) Der Detektiv ging zu seiner Bücherwand und fischte Dickis Lieblingsbuch — das alles andere als ein Kriminalroman war — heraus. Von Geoffrey Chester geschrieben, lautete der Titel: „Vom Kirschkern zum gespaltenen Haar — Was man über die kriminalistische Kleinarbeit wissen muß.“ Darin schildert Chester, ein ehemaliger Spezialist für Spurensicherung und Auswertung, die vielen Möglichkeiten, aus geringsten Details entscheidende Schlüsse zu ziehen.
„Das gehört ab sofort dir, Dicki! Wer so gut beobachten kann, der gehört belohnt!“
Dicki musterte seinen großen Freund voller Mißtrauen. Wie lautete doch der dazu passende Spruch seines Großvaters: „Wenn dir einer die Hand hinstreckt, dann zähle genau, ob auch alle Finger dran sind.“ Das sollte soviel heißen wie: prüfe, ob der andere es ehrlich meint.
Und Dicki prüfte — und strahlte. Kein Zweifel, Perry Clif-ton meinte es ernst und ehrlich. Vorsichtig, wie einen zerbrechlichen Schatz, nahm er das Buch in seine Hände.
„Danke, Mister Clifton!“ Mehr brachte Dicki im Augenblick nicht heraus, so glücklich war er. Sogar Julie Young schien in diesem Augenblick, in diesem „großen Augenblick“, vergessen. Die Bedenken, die ihn plötzlich befielen, zerstreute er mit dem Angebot: „Wenn Sie mal was nachsehen wollen, leihe ich es Ihnen gern aus!“
„Das ist ein Wort, Dicki!“
In diesem Augenblick klingelte es. Gleichzeitig klopfte es. Ein Zeichen, daß der Besucher entweder aus dem Haus war oder aber die Klippen der bereits verschlossenen Haustür überwunden hatte. (Nur ganz selten kam es vor, daß unten einer klingelte und zur gleichen Zeit oben einer klopfte.)
„Wird deine Mutter sein, Dicki!“ Dicki warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Der Film läuft
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