Das geheimnisvolle Tuch
wurde gelb im Gesicht, Zeichen seines Schams. „Schatz?“, fragte Vanessa.
„Ist das wahr?“ Drialin strich sich verlegen durch das Haar.
Zubla nickte. Er ging zu ihr, nahm ihre unförmige Hand: „Möchtest du es denn sein?“
Sie wurde noch gelber und sagte leise: „Ja.“
„Hebt euch das für später auf. Wir müssen erst sehen, wie wir weiterkommen“, sagte Vinc.
Sie vernahmen das leise Klicken, ohne jedoch die Richtung bestimmen zu können, aus der es kam.
Die schwarze Bodenfläche ließ den Raum dunkler werden, fehlte doch der widerspiegelnde Glanz des Lichts. Die Reflexion der Fackeln hatte die Gegenstände und Flächen ausgeleuchtet, tauchte aber nun alles in ein gespenstisches Dunkel.
Vinc stand vor dem Altar und sah nach oben zu den Bildern. Im Schein des unruhigen Lichtes der Kienspäne sah er eine Gestalt auf den Malereien, es war die Figur, die in ihm wohnte. In seiner Klaue hielt er einen Menschen und unter sich befand sich die Weltkugel, verbrannt und in Flammen stehend. Vor dem Unhold gewahrte er auch den Engel mit den verbundenen Augen.
Auf einem anderen Gemälde erblickte er eine Frau mit einer Glaskugel, rings um sie herum Eiskristalle, unter ihr den Globus mit Eis überzogen, vor ihr aber erkannte er wieder die Fratze des Unholds. Dann bemerkte er noch ein Bild mit Blitzen, die einen aus Eiskristallen und die anderen aus Feuer, zwischen den Blitzstrahlen befand sich ein Junge, fast im Aussehen wie er.
„Das bist doch du“, stellte Vanessa fest und bestätigte seine Beobachtung, an der er noch gezweifelt hatte.
Vinc starrte das Bild lange an, unfähig zu antworten. Er versuchte einen Sinn darin zu erkennen, aber die Erklärung blieb er sich und auch den anderen schuldig.
Er starrte ununterbrochen auf diese Szenerie. Er ahnte, dass da etwas Furchtbares mit der Welt und ihm geschehen würde. Je länger er darauf starrte, desto mehr wurde ihm die zukünftige Gefahr bewusst. Er strengte seine Augen noch mehr an, schloss seine Lider, um sicher zu gehen, dass es stimmte, was er da beobachtete. Vinc sah es wieder ganz deutlich. Sie schwebten in diesem Moment in Todesgefahr. Die Bilder verschwanden allmählich und das brachte dem Jungen die Erkenntnis, dass sich die Kuppel herabsenkte.
„Die Kuppel bewegt sich nach unten!“, rief er.
Seine Begleiter sahen nach oben. Auch sie erblickten das allmähliche Verschwinden einiger Bilder.
„Dies Klicken hat einen Mechanismus ausgelöst, alles hier wird zerquetscht.“ Vinc versuchte eine Panik zu unterdrücken, um nicht seine Freunde kopflos werden zu lassen.
Doch dieser Satz erzielte genau das Gegenteil, denn sie liefen zu den Särgen und erhofften, dort einen Ausgang zu finden.
„Ruhig, Leute!“ Er wusste, dass er die Führung übernehmen musste, um nicht vollends in einem Chaos zu enden, denn alles konnte er jetzt gebrauchen, nur nicht ein Häuflein kopfloser Wesen. Vinc befahl Zubla, er möge zu ihm kommen. Er hob den Kleinen, nachdem er einen Blick in das Buch auf dem Altar geworfen hatte, feststellend, die Schrift nicht entziffern zu können, hoch, und wies ihn an, sie zu übersetzen.
„Ist dieselbe klyrische Schrift wie in dem anderen Buch. Hier steht: ‚Schlag zu, was du gelesen. Siehe die Särge der Balduinsteins und zähle deren Geschlecht. Du wirst merken, dass die Anzahl nicht stimmt überein. Hier sind an der Zahl derer acht. Du aber siehst den siebenten nicht, der da hinabführt in den Ursprung deiner Narrenzeit. Ein Sarg ist, der übrig bleibt“.
„Wieder was Kompliziertes. Können die nicht einmal gleich deren Bedeutung erklären?“, schimpfte Vinc und stellte den Kleinen wieder auf den Boden.
„Ich glaube, diese Hinweise sollen bestimmt nur für dich sein“, meinte Zubla.
Ein leises Quietschen, herrührend von der Absenkung der Kuppel, erinnerte sie an die verrinnende Zeit.
Vinc dachte wieder an seinen Lehrer und das System, das er den Kindern eingeprägt hatte. Jede noch so schwere Aufgabe muss zerlegt werden, sie erscheint dann meist sehr einfach. Vor nicht allzu langer Zeit wendete er dies bereits mit Erfolg an, als er das Rätsel aus dem Buch bekam, damals, als er durch die Wand sollte.
„Schlag zu, was du gelesen“, murmelte er vor sich hin. Er sah zum Buch und da wusste er es. Während er das Machwerk zuschlug, hörten sie leises Summen aus Richtung der Särge.
„Balduinsteins Geschlecht. Ich habe die Ahnentafel im Schloss gesehen, wie viele waren es nur?“ Er sprach eher zu sich als mit seinen
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