Das Geisterhaus
die Feuerwehr herbeigerufen hätte.
»Geben Sie alle Notizbücher, Adreßbücher, Scheckhefte, alle
persönlichen Dokumente heraus, die Sie besitzen«, befahl der
Mann, der der Chef zu sein schien.
»Ich bin Senator Trueba! Kennen Sie mich denn nicht, Mann,
um Gottes willen! Mit mir können Sie das doch nicht machen.
Das ist ein Überfall! Ich bin ein Freund von General Hurtado.«
»Halt’s, Maul, alter Scheißer! Du hast kein Recht, den Mund
aufzumachen, solange ich es nicht erlaube!« antwortete der
andere brutal.
Sie zwangen ihn, den Inhalt seines Schreibtisches
herauszugeben, und steckten alles, was ihnen interessant
erschien, in Tüten. Während die eine Gruppe noch das Haus
durchsuchte, warf eine andere immer noch Bücher durchs
Fenster. Im Salon saßen vier lachende, spottende, drohende
Männer, die ihre Füße auf die Möbel legten, schottischen
Whisky aus der Flasche tranken und eine nach der anderen die
Platten aus Senator Truebas Sammlung klassischer Musik
zerbrachen. Alba überschlug, daß mindestens schon zwei
Stunden vergangen waren. Sie zitterte, aber nicht vor Kälte,
sondern aus Angst. Sie hatte damit gerechnet, daß dieser
Moment eines Tages kommen würde, aber immer noch hatte sie
wider alle Vernunft gehofft, daß der Einfluß ihres Großvaters sie
schützen würde. Als sie ihn nun, klein und kläglich wie einen
schwachen Greis, auf dem Sofa sitzen sah, begriff sie, daß sie
nicht auf Hilfe zählen konnte.
»Unterschreib das!« befahl der Chef, während er Trueba ein
Papier unter die Nase hielt. »Das ist eine Erklärung, daß wir uns
vor dir ausgewiesen haben, daß alles vorschriftsmäßig verlaufen
ist, daß wir rücksichtsvoll und höflich vorgegangen sind und daß
du keine Klagen vorzubringen hast. Unschreib!«
»Nie werde ich das unterschreiben«, rief Trueba wütend.
Der Mann drehte sich rasch um die eigene Achse und
versetzte Alba einen Schlag ins Gesicht, der sie zu Boden
schleuderte. Senator Trueba war wie gelähmt vor Staunen und
Entsetzen und begriff, daß endlich, nachdem er fast neunzig
Jahre lang nach seinem eigenen Gesetz gelebt hatte, die Stunde
der Wahrheit gekommen war. »Wußtest du, daß deine Enkelin
die Hure eines Guerillero ist?« sagte der Mann.
Niedergeschlage n unterzeichnete Senator Trueba das Papier.
Dann ging er unter Mühen zu seiner Enkelin, schloß sie in die
Arme und strich ihr mit nie gekannter Zärtlichkeit über das
Haar.
»Mach dir keine Sorgen, Kleines. Alles wird in Ordnung
kommen. Sie können dir nichts tun, das ist ein Irrtum, sei nur
ruhig«, murmelte er.
Aber der Mann schob ihn brutal beiseite und schrie den
anderen zu, daß sie gehen müßten. Zwei Totschlägertypen
packten Alba an den Armen und rissen sie mit sich fort. Das
letzte, was sie sah, war die pathetische Gestalt des Großvaters,
wachsbleich, zitternd, im Nachthemd und barfuß, der ihr von der
Schwelle aus versicherte, daß er sie morgen herausholen werde,
er werde mit General
Hurtado sprechen, und mit seinen
Rechtsanwälten werde er sie finden, wo immer sie sei, und sie
wieder nach Hause bringen.
Sie hoben sie auf einen Lieferwagen und setzten sie zwischen
den Mann, der sie geschlagen hatte, und einen anderen, der
pfeifend am Steuer saß. Ehe sie ihr die Klebestreifen über die
Wimpern klebten, blickte sie ein letztes Mal auf die leere, stille
Straße, erstaunt, daß trotz des Aufruhrs und der verbrannten
Bücher kein Nachbar herausgekommen war, um nachzusehen.
Sie nahm an, daß sie durch die Ritzen der Jalousien und die
Spalten in den Vorhängen hinausspähten, wie sie selbst es oft
getan hatte, oder daß sie die Köpfe unter die Kopfkissen
gesteckt hatten, um nichts zu erfahren. Der Lieferwagen fuhr
los, und sie, zum erstenmal blind, verlor die Vorstellung von
Raum und Zeit. Sie fühlte eine große feuchte Hand reibend,
zwickend, aufsteigend, erkundend auf ihren Schenkeln, einen
schweren Atem in ihrem Gesicht, flüsternd, ich werde dir
einheizen, Hure, du wirst schon sehen, und hörte andere
Stimmen und Gelächter, während das Fahrzeug auf einer Fahrt,
die ihr endlos erschien, eine Straßenbiegung nach der anderen
nahm. Sie wußte nicht, wohin sie gebracht wurde, bis sie Wasser
rauschen und die Räder des Lieferwagens über Holz fahren
hörte.
Da ahnte sie, was ihr bevorstand. Sie beschwor die Geister
aus den Zeiten des dreibeinigen Tischs und des wandersüchtigen
Salzfasses ihrer Großmutter, die Gespenster, die imstande
waren, den Gang
Weitere Kostenlose Bücher