Das Geisterhaus
unwiederbringlicher schien sie sich von der Wirklichkeit
zu lösen und sich in heimlichen Gesprächen mit dem Kind in
sich zurückzuziehen.
Esteban wünschte sich einen Sohn, der wie er Esteban heißen
und den Namen Trueba an seine Nachkommenschaft
weitergeben sollte.
»Es ist ein Mädchen und heißt Bianca«, sagte Clara seit dem
Tag, an dem sie ihre Schwangerschaft angekündigt hatte.
Und so war es.
Doktor Cuevas, vor dem sich Clara inzwischen nicht mehr
fürchtete, rechnete aus, daß die Geburt Mitte Oktober erfolgen
würde, aber noch Mitte November schaukelte Clara
nachtwandlerisch einen riesigen Bauch vor sich her, zerstreuter
denn je, müde und asthmatisch, gleichgültig gegen alles um sie
herum, selbst gegen ihren Mann, den sie manchmal nicht mehr
erkannte und »Was wünschen Sie?« fragte, wenn er neben ihr
stand. Nachdem der Arzt jeden möglichen Irrtum in seiner
Mathematik ausgeschlossen hatte und offenkundig war, daß
Clara keine Absicht hatte, auf natürlichem Wege zu gebären,
schnitt er der Mutter den Bauch auf und zog Bianca heraus, ein
kleines Mädchen, haariger und häßlicher als üblich. Esteban
schauderte, als er es sah, überzeugt, das Schicksal habe ihn
betrogen und er habe statt des rechtmäßigen Trueba, den er
seiner Mutter auf dem Totenbett versprochen hatte, ein
Monstrum, noch dazu weiblichen Geschlechts, gezeugt. Er
nahm es persönlich in Augenschein und stellte fest, daß es alle
Organe an der richtigen Stelle hatte, wenigstens die dem
menschlichen Auge sichtbaren. Doktor Cuevas tröstete ihn mit
der Erklärung, das abstoßende Äußere des Neugeborenen sei
darauf zurückzuführen, daß es über die normale Zeit im Bauch
der Mutter geblieben sei, daß es unter dem Kaiserschnitt gelitten
habe und zudem klein, zart, schwarz und eben ein wenig haarig
sei. Clara hingegen war selig mit ihrer Tochter. Sie schien aus
einem langen Dämmerschlaf zu erwachen und die Freude am
Leben neu zu entdecken. Sie schloß das Kind in die Arme und
ließ es nicht mehr los, sie trug es überall mit sich herum und gab
ihm ohne feste Zeiten und ohne Rücksicht auf gute Manieren
oder Schamgefühle alle Augenblicke die Brust, wie eine India.
Sie wollte es nicht wickeln, ihm nicht das Haar schneiden oder
die Ohren durchbohren, auch keine Amme nehmen und schon
gar nicht Milch aus einem Laboratorium verwenden, wie die
Damen es tun, die sich diesen Luxus leisten können. Auch das
Rezept der Nana, ihm mit Reiswasser verdünnte Milch zu
geben, verwarf sie mit dem Argument, wenn die Natur gewollt
hätte, daß Menschen damit großgezogen werden, hätte sie auch
dafür gesorgt, daß Frauenbrüste dieses Produkt absondern. Clara
sprach ständig mit dem Kind, ohne ein kindliches Kauderwelsch
oder Diminutive zu benützen, in korrektem Spanisch, als ob sie
sich mit einem Erwachsenen unterhielte, in derselben
gemessenen und vernünftigen Art, wie sie auch mit Tieren und
Pflanzen sprach, überzeugt, daß, wenn sie bei Flora und Fauna
damit Erfolg gehabt hatte, es keinen Grund gab, daß diese
Methode nicht auch für ihr Kind das richtige sei. Diese
Kombination aus Muttermilch und Gesprächen hatte zur Folge,
daß Bianca ein gesundes und beinahe schönes Kind wurde und
in nichts mehr dem Gürteltier glich, das sie war, als sie zur Welt
kam.
Wenige Wochen nach Biancas Geburt konnte Esteban Trueba
an dem fröhlichen Getümmel im Segelschiff auf den stillen
Wassern aus blauer Seide feststellen, daß seine Frau durch die
Schwangerschaft weder ihren Zauber noch ihre
Liebesbereitschaft eingebüßt hatte, im Gegenteil. Was Férula
betraf, so war sie viel zu sehr mit dem Kind beschäftigt, das
kräftige Lungen und einen enormen Appetit hatte, als daß sie
Zeit gefunden hätte, in die Armensiedlungen zu gehen und bei
Pater Antonio zu beichten, erst recht nicht, durch den Spalt einer
angelehnten Tür zu spähen.
Viertes Kapitel
Die Zeit der Geister
In einem Alter, in welchem die meisten Kinder noch in
Windeln auf allen vieren kriechen, geifern und
unzusammenhängendes Geplapper von sich geben, wirkte
Bianca wie eine vernunftbegabte Zwergin, die stolpernd, aber
auf ihren zwei Beinen ging und dank der Methode ihrer Mutter,
sie wie eine Erwachsene zu behandeln, korrekt sprach und
selbständig aß. Sie hatte alle ihre Zähne und fing eben an, die
Schränke aufzumachen, um ihren Inhalt zu durchstöbern, als die
Familie beschloß, den Sommer auf den Drei Marien zu
verbringen, die Clara nur
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