Das Geld - 18
Vorjahres erinnerte, die Lavignière nicht hatte zu Gehör bringen können. Anlaß zur Freude gab aber vor allem die Veranschlagung der kommenden Bilanz: Millionen für die Vereinigten Dampfschiffahrtslinien, Millionen für das Silberbergwerk vom Karmel, Millionen für die Türkische Nationalbank; und die Aufzählung nahm kein Ende, die sechsunddreißig Millionen kamen auf einfachste, ganz natürliche Weise zusammen, stürzten wie ein Wasserfall mit rauschendem Getöse hernieder. Und der Horizont weitete sich noch beim Ausblick auf die künftigen Operationen. Die Allgemeine Gesellschaft der Orient-Eisenbahnen tauchte auf, zunächst die große Hauptstrecke, mit der in naher Zukunft begonnen werden sollte, dann die Nebenstrecken, das ganze über Asien sich erstreckende Netz moderner Industrieunternehmen, die triumphale Rückkehr der Menschheit an ihre Wiege, die Wiederauferstehung einer Welt; und in weiter Ferne klang zwischen zwei Sätzen die Sache an, von der man nicht sprach, das Geheimnis, die Krönung des Gebäudes, das die Völker in Erstaunen versetzen sollte. Und es herrschte völlige Einmütigkeit, als Hamelin abschließend die Beschlüsse erläuterte, die er der Versammlung zur Billigung unterbreiten wollte: die Kapitalerhöhung auf hundertfünfzig Millionen, die Emission von hunderttausend neuen Aktien zu achthundertfünfzig Francs, die Vollzahlung der alten Papiere dank der Prämie auf diese neuen Aktien und dank den Gewinnen aus der nächsten Bilanz, über die man im voraus verfügte. Mit stürmischen Bravorufen wurde diese geniale Idee aufgenommen, über die Köpfe hinweg sah man, wie Maugendre aus Leibeskräften in seine großen Hände klatschte. Auf den ersten Bänken waren die Administratoren und die Angestellten des Hauses in Raserei verfallen, allen voran Sabatani, der stehend »Bravo! Bravo!« rief wie im Theater. Allen Beschlüssen wurde mit Begeisterung zugestimmt.
Indes hatte Saccard einen Zwischenfall inszeniert, der nun eintrat. Er wußte genau, daß man ihn der Spekulation beschuldigte, und wollte auch den geringsten Argwohn mißtrauischer Aktionäre auslöschen, falls solche im Saal waren.
Jantrou, von ihm abgerichtet, erhob sich und sagte mit seiner belegten Stimme:
»Herr Präsident, ich glaube mich zum Sprecher vieler Aktionäre zu machen, wenn ich um die genaue Feststellung bitte, daß die Gesellschaft nicht eine einzige ihrer Aktien besitzt.«
Hamelin, den man nicht eingeweiht hatte, war einen Augenblick verlegen. Instinktiv wandte er sich Saccard zu, der bisher unauffällig auf seinem Platz gesessen hatte und der jetzt plötzlich hochschnellte, seine kleine Gestalt reckte und mit seiner schrillen Stimme antwortete:
»Nicht eine einzige, Herr Präsident!«
Bei dieser Antwort brach erneut Beifall los, warum, wußte man nicht. Wenn er auch im Grunde log, traf es dennoch zu, daß die Gesellschaft keine einzige Aktie auf ihren Namen besaß, weil Sabatani und andere sie deckten. Und das war alles, man klatschte noch einmal und ging sehr vergnügt und sehr geräuschvoll auseinander.
In den Tagen darauf schlug der Bericht über diese Sitzung, den die Zeitungen veröffentlicht hatten, an der Börse und in ganz Paris wie eine Bombe ein. Jantrou hatte für diesen Augenblick eine letzte Reklameaktion aufgespart, die dröhnendste Fanfare, die man seit langem auf den Werbetrompeten geblasen hatte. Es lief sogar ein Witz um, man erzählte sich, er habe die Worte »Kaufen Sie Universelle-Aktien« auf die verschwiegensten und heikelsten Körperstellen gefälliger Damen tätowieren lassen, um sie zu verbreiten. Übrigens hatte er nun endlich seinen großen Coup gelandet und »La Cote Financière« aufgekauft, jenes solide alte Blatt, das auf zwölf Jahre untadeliger Ehrbarkeit zurückblicken konnte. Das war teuer gewesen, aber die seriöse Kundschaft, die angstschlotternden Bürger, die klug verwalteten großen Vermögen, alles Geld, das Ansehen genießt, waren erobert. In vierzehn Tagen erzielte man an der Börse einen Kurs von fünfzehnhundert Francs, und in der letzten Augustwoche kletterte er sprunghaft auf zweitausend. Die Begeisterung kannte jetzt keine Grenzen mehr, der Wahnsinn verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde, das Spekulationsfieber breitete sich wie eine Seuche aus. Man kaufte und kaufte, selbst die Vernünftigsten, in der Überzeugung, daß der Kurs noch steigen würde, daß er endlos steigen würde. Die geheimnisvollen Höhlen aus Tausendundeiner Nacht taten sich auf, die
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