Das Generationenschiff
Interesse daran. Jedenfalls nicht vor dem Essen.« Madame Flaubert fügte sich widerwillig, bemerkte aber, daß Fords Aura unausgeglichen schien.
Das Essen war mal wieder ein kulinarisches Meisterwerk. Ford genoß jeden Bissen. Ihm fiel auf, daß Sam viel mit Farbe und Struktur gearbeitet und zugleich darauf geachtet hatte, daß die Zutaten seinem angeschlagenen Magen nicht zu schaffen machten. Tante Q. lenkte das Gespräch auf kuriose Sammelstücke, ein Thema, zu dem Ford nichts beitragen konnte. Er ließ sie mit Madame Flaubert freundlich darüber streiten, wie wahrscheinlich es war, daß eine bestimmte Urne in der Sammlung der Familie Tsing aus echter Wedgwoodware von der Alten Erde bestand oder ob es sich (wie Madame Flaubert behauptete) um eine der exzellenten Reproduktionen handelte, die auf Gaeshin im ersten Jahrhundert dieser Kolonie entstanden waren.
Sie schnappten erst wieder nach Luft, als das Dessert serviert wurde. Madame Flaubert reichte Ford ein Tablett mit feinem Gebäck und sagte: »Wir langweilen Sie doch sicher, aber vielleicht regt das hier Ihre Phantasie an.«
Ford nahm ein Stück Gebäck, dessen kräftig purpurrote Farbe in ihm die Hoffnung weckte, daß es mit Dilbeeren gefüllt war, die er am liebsten aß. Madame Flaubert stellte das Tablett weg. Seine Tante, bemerkte er, tunkte ihr Gebäck in eine Schale mit etwas Gelbem. Er biß in das blättrige Backwerk, fand seine Hoffnung bestätigt und schluckte, bevor er antwortete.
»Ich langweile mich nie, wenn ich von Dingen erfahre, die mir neu sind. Ich muß allerdings gestehen, daß ich den roten Faden verloren habe, als Sie über den Unterschied zwischen gepreßten und geschnitzten Ornamenten diskutiert haben.«
Wie erhofft hielt seine Tante einen kurzen Vortrag über diesen Unterschied und warum er für ihren Streit so wichtig war. Wenn sie wollte, konnte sie knapp, direkt und bemerkenswert witzig sein. Sie ist keine Idiotin und auch keine verwöhnte Müßiggängerin, dachte er bei sich. Wenn sie diesen Eindruck macht, dann will sie es so – weil es für sie funktioniert. Von zwei Stunden abgesehen, die Tante Q. sich hinlegte, um ›ihre Jugend zu erhalten‹, verbrachten sie den Rest des Nachmittags mit der Art von Familientratsch, zu dem sie am ersten Abend noch nicht gekommen waren. Tante Q. hatte sich über alle fernen Verästelungen ihres Familienstammbaums auf dem Laufenden gehalten. Vieles war Ford völlig unbekannt, darunter die Karrieren und Ehen seiner eigenen Verwandten und Vettern ersten Grades. Sie hielt seinen Bruder Asmel für einen Idioten, weil er seinen guten Job in den Prime-Laboratorien aufgegeben hatte, um sein Glück mit Lieselfellen zu versuchen; Ford war ihrer Meinung. Sie beharrte darauf, daß seine Schwester Tara das Richtige getan hatte, als sie diesen Bankangestellten heiratete, auch wenn Ford fand, daß sie zuerst die Grundschule hätte abschließen sollen.
»Du verstehst das nicht«, sagte Tante Q. zum dritten Mal, und diesmal erklärte sie es im Detail. »Dieser junge Mann ist ein entfernter Vetter von Maurice Quen Chang. Er war ein Bankangestellter, als Tara ihn heiratete, aber in zehn Jahren wird er es nicht mehr sein. Maurice ist der bei weitem gerissenste Investor in dieser Familie. Am Ende wird er zwei Schlüsselindustrien im Cordade-Sektor kontrollieren. Hat deine Schwester es dir nicht erklärt?«
»Ich habe sie nicht gesehen. Mutter hat es mir in einem Brief geschrieben.«
»Ach ja. Deine Mutter ist ein lieber Mensch. Weißt du, meine alte Freundin Arielle kannte sie als Mädchen. Bevor sie deinen Vater heiratete. Mit viel Rückgrat, sagte Arielle, und nicht im mindesten geneigt, gesellschaftlichen Konventionen zu gehorchen, aber charmant auf eine ruhige Art.« Ford hielt das für eine angemessene Beschreibung seiner Mutter, obwohl sie ihre Intelligenz, ihren Witz und ihre bemerkenswerte Schönheit ausließ. Er hatte ihre glatte, bronzefarbene Haut geerbt und den Instinkt, der es ihm erlaubte, sich in jeder Gesellschaftsschicht zu bewegen. Aber es stimmte wohl, daß seine Mutter, wenn sie von den Beziehungen dieses Bankangestellten gewußt hätte, eine solche Form der Berechnung bei einer ihrer Töchter nie gebilligt hätte. »Ich bin mir aber sicher«, fuhr Tante Q. fort, »daß jede Tochter deiner Mutter aufrichtige Zuneigung für den jungen Mann empfunden hätte, unabhängig von seinen Beziehungen.«
»Mutter sagte dasselbe.« Interessant war, daß Mutter nie erwähnt hat, daß sie eine
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