Das Generationenschiff
Augen.
»Verzeih mir, wenn ich frage, Tante Q., aber … aber kommen dich deine Freunde je besuchen? Nach dem, was mir mein Vater erzählte, habe ich den Eindruck, daß du mit einem großen Troß herumreist und diese Jacht zum Bersten voll ist.«
»Das war einmal. Aber du weißt, wie das ist. Na, vielleicht nicht. In der Flotte kann man sich seine Gefährten nicht aussuchen. Aber es gab Krach und Streitigkeiten. Dem einen gefiel dies, dem anderen das nicht …«
»Und einige haben Madame Flaubert nicht gemocht«, sagte Ford ganz leise. »Und Madame Flaubert hat niemanden gemocht, der sich zwischen euch stellte.«
Sie saß vollkommen ruhig da, hielt seine Hand, und die Farbe auf seinen Wangen kam und ging. Dann beugte sie sich vor und flüsterte ihm zaghaft etwas ins Ohr.
»Ich kann … Ich kann dir nicht sagen, wie schrecklich es gewesen ist. Diese Frau! Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich … ich weiß nicht warum. Ich k-kann nichts sagen … nichts sagen, was sie mich nicht sagen lassen will.« Ihr Atem ging stoßweise, ihr Gesicht war fast purpurrot angelaufen. »Sonst sterbe ich!« Sie setzte sich auf und hätte ihre Hände zurückgezogen, aber Ford hielt sie fest.
»Bitte schicke Sam, damit er mir in … äh … in die Einrichtungen hilft«, sagte er mit der neutralsten Stimme, die er aufbringen konnte.
Seine Tante nickte, ohne ihn auch nur anzusehen, und stand auf. Ford spürte, wie in einem Anflug sengender Wut und Anteilnahme seine Kraft zurückkehrte. Natürlich, seine Tante war eine reiche, einfältige alte Dame, aber selbst einfältige alte Damen hatten ein Recht auf Freunde, auf ihre eigenen Dummheiten und nicht die anderer. Als Sam auftauchte, betrachtete er ihn mit dürftigem Respekt.
»Werden Sie überleben? Oder wollen Sie uns den Ärger machen und an Bord sterben?«
»Ich habe vor, meine normale Lebenserwartung zu erreichen und erst in vielen Jahren zu sterben«, sagte Ford.
Mit Sams Hilfe konnte er gerade aufstehen und sich ins Bad schleppen. Das Gesicht, das er im Spiegel erblickte, sah schauderhaft aus, und er schüttelte den Kopf darüber.
»Blicke töten nicht«, sagte er.
Sam nickte anerkennend. »Scheint so, als ob Sie zur Vernunft kommen. Wollen Sie Madame jetzt den wahren Grund verraten, weshalb Sie zu Besuch gekommen sind?«
»Ich hatte kaum eine Gelegenheit.« Er sah Sam finster an, aber es blieb ohne Wirkung. »Für Leute, die mir meine müßige Neugier nicht abnehmen, sind Sie selbst ziemlich neugierig.«
»Aus Gewohnheit«, sagte Sam und half ihm in einen sauberen Schlafanzug. »Madame Flaubert hält uns auf Trab.«
Ford schnaubte. »Darauf würde ich wetten. Wie lang ist sie schon an Bord?«
»Seit etwa sechs Monaten, seit Madame und ihr Paraden-Gatte die letzte Verhandlung hatten, um ihre Trennung zu regeln. Ich meine die Verhandlung, die Madame einige beträchtliche Anteile am Besitz der Paradens eingebracht hat«, erklärte Sam. Auf Fords bestürzten Blick zwinkerte er. »Bemerkenswert, nicht wahr?«
»Ist sie eine …?« Ford formte mit den Lippen das Wort ›Paraden‹, ohne es aber auszusprechen.
Sam schüttelte den Kopf. »Sie gehört nicht derselben Blutlinie an, um es so auszudrücken. Vielleicht teilt sie nicht einmal mit einem Paraden das Bett. Aber sie tut von Herzen das, wofür sie bezahlt wird.«
»Weiß meine Tante davon?«
Sam runzelte die Stirn und schürzte die Lippen. »Ich war mir nie sicher. Madame Flaubert hat Ihre Tante irgendwie im Griff, aber was das angeht, habe ich keine Ahnung.«
»Man will, daß sie sich ruhig verhält und aus dem Weg bleibt. Kein Gerede, keine Skandale. Ich bin überrascht, daß sie so lang überlebt hat.«
»Ein paarmal war es ziemlich knapp.« Sam schüttelte den Kopf, während er Ford beim Zähneputzen half und ihm eine Flasche mit Mundwasser reichte. »Es ist merkwürdig, Ihre Tante ist in mancher Hinsicht sehr mißtrauisch, aber sie unternimmt einfach nichts. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Sie hatte wahrscheinlich Angst, etwas zu unternehmen, überlegte Ford. Sie war völlig verängstigt, weil Madame Flaubert ihr in den letzten Jahren einen Freund nach dem anderen entfremdet hatte. Er lächelte Sam im Spiegel an und stellte erfreut fest, daß er noch lächeln konnte, daß er nicht mehr ganz so wie ein Toter aussah.
»Ich glaube, es wird Zeit«, leierte er, »daß meine liebe Tante sich von Madame Flaubert befreit.«
Sam wölbte die Augenbrauen. »Können Sie mir einen Grund nennen, warum ich Ihnen
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