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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Morphenkind. Diese Kreaturen benutzen rätselhafte Begriffe wie ‹Chrisam› und ‹Morphenkind›, was auf eine gewisse Tradition hindeutet, so als gäbe es sie schon sehr lange. Das hat dieser Marrok ja auch selber angedeutet. Es heißt, dass dieses Chrisam, das dich verwandelt hat, einen krank machen und sogar töten kann. Aber du hast es überlebt. Du weißt, dass sich deine Zellen verändert haben und dass sie vergehen, sobald sie von der Energiequelle getrennt werden, die sie speist. Wenn diese Energiequelle ausgelöscht wird, löst sich der ganze Körper auf. Aus diesem Grund können dir die Behörden nicht auf die Spur kommen.»
    «Genau. Mehr weiß ich nicht.»
    «Doch. Dieser Marrok hat dir vorgeworfen, du hättest durch dein unbesonnenes, brutales Vorgehen öffentliches Aufsehen erregt und damit die ganze Spezies gefährdet. Das stimmt doch, oder?»
    «Ja, du hast recht. Das hat er gesagt.»
    «Deswegen fürchtest du, dass die anderen kommen, um dich zu stoppen, dich vielleicht sogar töten wollen, dich und Laura. Du hast einen der Ihren getötet. Das reicht schon, um dich zu töten, ganz abgesehen von allem anderen, was sie an dir auszusetzen haben.»
    «Ich weiß, was du sagen willst», sagte Reuben. «Aber niemand kann uns helfen, Jim. Niemand. Sag also nicht, ich soll mich an diese oder jene Behörde wenden. Oder diesen oder jenen Arzt aufsuchen. Das würde Laura und mir jegliche Freiheit nehmen, ein für alle Mal. Es wäre das Ende unseres Lebens.»
    «Was ist denn die Alternative? Hierbleiben und gegen deine neue Wesensart ankämpfen? Die Stimmen ignorieren, die dich an den nächsten Tatort führen? Den Impuls, in den Wald zu gehen und zu töten, mit eisernem Willen bezwingen? Und wie lange wird es dauern, bis du der Versuchung nicht mehr widerstehen kannst, Laura zu verwandeln? Was, wenn das Chrisam oder Serum oder was immer es ist, sie umbringt? Du weißt, dass Marrok von dieser Möglichkeit gesprochen hat.»
    «Darüber habe ich auch schon nachgedacht», sagte Reuben.
    Das hatte er tatsächlich. Er hatte es immer für ein dummes Horrorfilm-Klischee gehalten, dass «das Monster» sich eine Gefährtin wünschte oder jahrelang einer verlorenen Liebe nachjagte. Jetzt konnte er es jedoch nur zu gut verstehen, denn nun wusste er, was es bedeutete, «anders» zu sein, isoliert und bedroht. «Ich werde Laura kein Leid zufügen», sagte er. «Laura hat um dieses Geschenk nicht gebeten.»
    «Dieses Geschenk? Du bezeichnest es als Geschenk? Ich habe eine Menge Phantasie, Reuben, und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie deine neue Freiheit und Stärke …»
    «Nein, kannst du nicht. Im Gegenteil. Du lehnst das alles ab.»
    «Okay. Ich kann es mir nicht vorstellen. Was daran so erstrebenswert sein soll, übersteigt meine wildesten Phantasien.»
    «Das ist das Stichwort: deine wildesten Phantasien. Hast du dir je gewünscht, jemandem zu schaden, der dich schwer gekränkt hat? Wolltest du jemals, dass jemand leiden muss, weil er dir etwas angetan hat? Ich wollte es. Ich wollte, dass die Kidnapper und die anderen Verbrecher leiden.»
    «Du hast sie getötet, Reuben. Dass sie vorher schwer gesündigt haben, spielt keine Rolle. Du hast ihr irdisches Schicksal besiegelt, ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Sünden zu bereuen, ihr Unrecht wiedergutzumachen. Aber du hast noch mehr getan. Du hast diesen Leuten Jahre genommen, in denen sie Gutes hätten tun können. Und das hast du nicht nur ihnen, sondern auch ihren Nachkommen und sogar ihren Opfern angetan, denn sie hätten Wiedergutmachung verdient.»
    Reuben schloss die Augen und legte die Stirn in die Hände. Er versuchte sich zu beherrschen, aber er war wütend. Er sollte den Opfern etwas genommen haben? Diese Menschen waren abgeschlachtet worden! Nicht im Traum hätten die Täter an Wiedergutmachung gedacht! Stattdessen hätten sie noch mehr Menschen getötet, hätte er nicht interveniert. Die entführten Kinder hatten sich in akuter Lebensgefahr befunden. Aber darum ging es gar nicht. Er hatte getötet. Das konnte er weder leugnen noch bereuen.
    «Ich will dir doch helfen», sagte Jim eindringlich. «Mir geht es nicht darum, dich zu verurteilen oder zurückzuweisen.»
    «Ich weiß», sagte Reuben. «Das würdest du nie tun.»
Ich bin derjenige, der sich von dir entfernt.
    «Du kannst mit dieser Sache nicht mutterseelenallein weitermachen. Diese Laura … außer dass sie sehr schön ist, liebt sie dich, das ist offensichtlich. Sie ist kein Kind mehr, und

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