Das Geschenk der Wölfe
Handwerk zu legen.
Fünf Minuten nachdem sie wieder gegangen waren, bekam Reuben einen Anruf von Stuart auf dem Handy.
«Sie wissen, wer ich bin», sagte eine aufgekratzte Stimme. «Hören Sie, ich habe gerade mit Ihrer Herausgeberin, dieser Billie Kale, gesprochen. Ich habe Ihren Artikel über diese Frau gelesen, die den Wolfsmenschen als Erste gesehen hat. Ich muss unbedingt mit Ihnen reden. Wenn Sie Interesse haben, kommen Sie bitte nach Santa Rosa. Die wollen mich noch nicht so bald entlassen. Wenn Sie kein Interesse haben, sagen Sie es bitte gleich, denn dann wende ich mich an jemand anders. Verstanden? Also, was ist nun, ja oder nein? Soll ich Ihre Herausgeberin gleich wieder anrufen? Die glaubt nämlich …»
«Ist ja schon gut, Stuart. Wo genau finde ich dich?»
«O Gott! Ich dachte, ich hätte Ihren Anrufbeantworter erwischt. Sie sind es persönlich? Cool! Ich bin im St. Mark’s Hospital in Santa Rosa. Aber beeilen Sie sich, die wollen mich nämlich von der Öffentlichkeit abschotten.»
Als Reuben das Krankenhaus erreichte, hatte Stuart Fieber bekommen und durfte keinen Besuch mehr empfangen. Reuben beschloss zu warten, auch wenn es Tage dauern sollte. Doch schon um zwei Uhr ließ man ihn vor. In der Zwischenzeit hatte er Grace zwei SMS geschrieben und sie gebeten, sich mit den Ärzten von Santa Rosa in Verbindung zu setzen und ihnen mitzuteilen, wie man ihn selbst behandelt hatte. Er begründete seine Bitte damit, dass man ja nicht wissen könne, ob der Junge von dem Wolfsmenschen vielleicht gebissen worden sei.
Grace zögerte und schrieb zurück: «Es ist doch gar nicht die Rede davon, dass der Junge gebissen wurde.»
Aber er war gebissen worden.
Als Reuben das Krankenzimmer betrat, hatte man Stuart einen Kissenberg in den Rücken gestopft und ihn an zwei Tröpfe gehängt. Gesicht, linker Arm und linke Hand waren frisch verbunden. Möglicherweise verbarg die Bettdecke weitere Verbände. Alles in allem aber erholte sich Stuart «überraschend» schnell. Er trank einen Schoko-Milchshake und grinste Reuben frech an. Seine Sommersprossen und die lachenden Augen erinnerten Reuben an Tom Sawyer.
«Er hat mich gebissen!» Stuart hob den linken Arm und brachte die Schläuche der Infusion zum Schaukeln. «Bestimmt werde ich jetzt selber zum Werwolf.» Er lachte laut und konnte gar nicht wieder aufhören.
Schmerzmittel, dachte Reuben.
Stuarts Mutter, Buffy Longstreet, eine mädchenhafte Blondine mit den gleichen Sommersprossen auf der allerdings plastisch korrigierten Nase, saß mit verschränkten Armen in der Ecke und blickte mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen zu ihrem Sohn hinüber.
«Eins muss ich diesem Typen lassen», plapperte Stuart drauflos. «Wenn er ein Kostüm trägt, woran natürlich niemand zweifelt, der alle Tassen im Schrank hat, ist es nicht zu toppen. Ich meine, Sie können sich kein Kostüm vorstellen, das echter wirkt! Aber der Typ muss auf Angel Dust sein, es gibt nämlich keine andere Droge, die jemandem derartig viel Kraft gibt. Sie können sich nicht vorstellen, wie dieser Typ losgestürmt ist! Aber andererseits … Vielleicht handelt es sich ja um eine unbekannte Tierart. Glaub ich aber nicht. Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube?»
«Was denn?», fragte Reuben, obwohl ihm längst klar war, dass es sich hier um die Sorte Interview handelte, bei der ein Reporter nichts zu fragen brauchte.
«Passen Sie auf», sagte Stuart und zeigte mit dem Daumen auf die eigene Brust. «Meine Theorie ist folgende: Ich glaube, dass es ein ganz normaler Typ ist, also ein Mensch, dem aber was Schreckliches zugestoßen ist. Vergessen Sie den Werwolf-Scheiß! Das ist doch Schnee von gestern und führt zu nichts – außer höchstens Motiven auf Kaffeebechern und T-Shirts. Nein, dieser Typ hat irgendeine Krankheit oder Behinderung, so was wie Akromega- … also wenn jemand unnatürlich groß ist. Dadurch ist er zu einem Monster mutiert. Wissen Sie, mein Vater ist an den Amazonas gereist, das war immer sein größter Traum, aber da hat er sich irgendwas eingefangen, das ihm die Bauchspeicheldrüse und die Nieren zerfressen hat. Daran ist er dann nach nur einer einzigen Woche in einem Krankenhaus in Brasilien gestorben.»
«Oh, das tut mir leid», murmelte Reuben.
«Wie? Ach so, ja. Jedenfalls glaube ich, dass mit diesem … was immer es ist, so was Ähnliches passiert ist. Das Fell, die übergroßen Knochen …»
«Was für übergroße Knochen?», fragte Reuben.
«Der Typ hat
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