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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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kleinen Bruder immer beschützt und war stets um ihn besorgt gewesen, aber die Sorgen, die er sich jetzt zu machen schien, saßen tiefer. «Gemessen an dem, was du hinter dir hast», sagte er einmal, «machst du einen überraschend fitten Eindruck. Schon deine Gesichtsfarbe … Du bist nicht annähernd so blass, wie man erwarten könnte.»
    Celeste übernahm so viel von der anfallenden Krankenpflege, wie Reuben zuließ. Sie gab ihm mit einem Strohhalm zu trinken, schüttelte seine Kissen auf, wischte ihm das verschwitzte Gesicht ab und half ihm aus dem Bett, wenn er seinen verordneten Spaziergang durch die Station machen sollte. Zwischendurch ging sie oft aus dem Zimmer, um mit ihren Kollegen von der Staatsanwaltschaft zu telefonieren, und wenn sie zurückkam, versicherte sie ihm, es gebe nichts, worüber er sich Sorgen machen müsse. Sie war tüchtig, sachlich und unermüdlich.
    «Die Schwestern haben dich zum bestaussehenden Patienten gewählt», sagte sie einmal zu ihm. «Ich habe keine Ahnung, was sie dir hier geben, aber ich könnte schwören, dass deine Augen ein dunkleres Blau haben als früher.»
    «Unmöglich», erwiderte Reuben. «Bei Erwachsenen ändert sich die Augenfarbe nicht mehr.»
    «Doch», widersprach Celeste. «Bestimmte Medikamente können diese Wirkung haben.»
    Die Spekulationen über das rätselhafte Tier hielten weiter an. Bei einem Besuch an Reubens Krankenbett fragte seine Herausgeberin, Billie Kale, der kluge Kopf des
San Francisco Observer
, ob Reuben sich denn wirklich nicht an Einzelheiten erinnern könne.
    «Nein, wirklich nicht», antwortete Reuben und kämpfte gegen die betäubende Wirkung der Medikamente an.
    «Aber du bist dir sicher, dass es kein Berglöwe war?»
    «Billie, ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts sehen konnte.»
    Billie war eine kleine, untersetzte Frau mit gepflegtem weißem Haar, die sich exquisit und teuer kleidete. Nach vielen Jahren Zugehörigkeit zum Senat von Kalifornien hatte sich ihr Mann zur Ruhe gesetzt und finanzierte nun die Zeitung, um Billie in fortgeschrittenem Alter eine sinnvolle Tätigkeit zu ermöglichen. Sie war eine großartige Herausgeberin, die Wert darauf legte, dass jeder Reporter einen individuellen Stil pflegte. Wer eine eigene, unverwechselbare Stimme hatte, wurde von ihr unterstützt, und sie hatte Reuben von Anfang an gemocht.
    «Ich habe kein Tier gesehen», sagte er. «Nur gehört. Und es klang wie ein großer Hund. Ich habe keine Ahnung, warum es mich nicht getötet hat. Auch nicht, warum es überhaupt ins Haus gekommen ist.»
    Und das war doch die eigentliche Frage. Warum war das Tier ins Haus eingedrungen?
    «Nun ja, diese Junkies, die beiden Brüder, haben die halbe Fensterfront des Esszimmers herausgerissen», sagte Billie. «Du musst dir mal die Fotos ansehen. Unfassbar … die eigene Schwester zu töten! Und dann die alte Frau, die hinten im Haus geschlafen hat … Entsetzlich! Wenn du wieder gesund bist, musst du darüber schreiben. Ich finde übrigens, du siehst gar nicht mehr krank aus. Welche Medikamente geben sie dir eigentlich?»
    «Keine Ahnung.»
    «Ist ja auch egal. Wir sehen uns, wenn du so weit bist.» Damit wandte sie sich so abrupt zum Gehen, wie sie gekommen war.
    Als Reuben einmal mit Celeste allein war, beichtete er ihr die Sache mit Marchent. Dass sie es bereits wusste, überraschte ihn nicht. Aber auch alle möglichen Zeitungen hatten offenbar darüber berichtet. Das haute Reuben fast um, und Celeste merkte es.
    «Es ist nicht so schlimm», sagte sie. «Vergiss es einfach.» Sie tröstete ihn, als sei er derjenige, der hintergangen worden war.
    Zum wiederholten Mal lehnte er ihren Rat ab, sich rechtlichen Beistand zu holen. Wozu sollte er den brauchen? Seine Angreifer waren tot, und damit war die Sache erledigt.
    Damit hatte er beinahe recht.
    Fünf Tage nach dem Mord – er lag noch im Krankenhaus, seine Wunden waren fast verheilt, aber die Antibiotika, die ihm prophylaktisch verabreicht wurden, verursachten starke Übelkeit – erfuhr er, dass Marchent ihm das Haus vermacht hatte.
    Etwa eine Stunde vor ihrem Tod hatte sie mit ihren Anwälten in San Francisco telefoniert und ihnen die entsprechenden Dokumente unterschrieben zugefaxt. Eins davon hatte Felice als Zeugin gegengezeichnet. Darin bestätigte sie die telefonische Verfügung, das Haus solle künftig Reuben Golding gehören. Marchent wollte sogar selbst die fälligen Schenkungs- und Grundstückssteuern übernehmen, um Reuben die Formalitäten

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