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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nichts mehr zeigen können … die Redwoodbäume, die zu den ältesten Lebewesen dieses Planeten gehören …
    Dieser Wald gehörte jetzt ihm und unterstand seiner Obhut. Dieser Gedanke verlieh ihm plötzlich eine ungeheure Energie. Er setzte sich in Bewegung. Durch den Korridor, am Schwesternzimmer vorbei und die Treppe hinunter. Er trug nur das dünne Krankenhausnachthemd, das am Rücken locker zusammengeknotet war. Damit konnte er draußen keinen Abendspaziergang machen. Trotzdem war es ein gutes Gefühl, Treppen zu laufen, von einem Stockwerk ins andere zu gehen.
    Dann blieb er abrupt stehen. Stimmen. Überall waren sie und redeten auf ihn ein, aber so leise, dass er nicht verstehen konnte, was sie sagten. Aber sie waren da, wie Wellen, die das Wasser kräuselten, oder ein Windhauch, der in die Bäume fuhr und die Blätter rascheln ließ. In der Ferne schrie jemand um Hilfe. Reuben drückte sich die Hände auf die Ohren, aber das änderte nichts an seiner Wahrnehmung. Ein Junge schrie. Die Stimmen kamen nicht aus dem Krankenhaus. Aber von wo? Barfuß ging er durch die Lobby auf den Ausgang zu, als zwei Pfleger ihn aufhielten.
    «Ich weiß nicht, wie ich hierherkomme», sagte er, und es war ihm furchtbar peinlich. Aber die Pfleger waren freundlich und machten ihm keine Vorhaltungen, als sie ihn auf seine Station zurückbrachten.
    «Rufen Sie meine Mutter nicht an», bat er. Celeste und Phil warteten ja auf ihn.
    «Hat man dir Ausgang gegeben?», fragte sein Vater.
    «Ich bin so ruhelos, Dad, ich wollte mich einfach mal bewegen. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe.»
    Am nächsten Morgen hörte er im Halbschlaf, wie seine Mutter über die jüngsten Testergebnisse sprach. «Das ergibt doch keinen Sinn», sagte sie. «Plötzlich soll er wieder Wachstumshormone gebildet haben? Ein erwachsener Mann? Und dann all das Kalzium in seinem Blut und diese Enzyme! Nein, ich weiß, dass es nicht die Tollwut ist, natürlich nicht, aber ich frage mich, ob dem Labor nicht ein Fehler unterlaufen ist. Ich möchte, dass alles noch einmal durchgetestet wird.»
    Reuben schlug die Augen auf. Das Zimmer war leer. Stille. Er stand auf, duschte, rasierte sich und betrachtete seine Bauchwunde. Die Narbe war kaum noch zu erkennen.
    Weitere Tests ergaben, dass von seiner jüngst erlittenen Gehirnerschütterung nicht die geringsten Spuren zurückgeblieben waren.
    «Ich möchte nach Hause, Mom.»
    «Noch nicht, mein Baby.»
    Es stand noch ein Test aus, der Aufschluss darüber geben sollte, ob sich irgendwo in seinem Körper eine Infektion nachweisen ließe. Zu dem Zweck musste er eine Dreiviertelstunde lang vollkommen still liegen.
    Als er diese Prozedur überstanden hatte, kam Grace mit zwei Labortechnikern herein. «Ich fasse es nicht! Sie haben alle Proben verloren?» Sie kochte vor Wut. «Ich erwarte, dass Ihnen keine weiteren Pannen unterlaufen! Zusätzliche DNA -Analysen kommen nicht in Frage! Falls Sie auch die vermurkst haben, ist das Ihr Problem!
Ein
Test dieser Art sollte reichen!»
    «Vermurkst?», fragte Reuben.
    «Das haben sie selbst zugegeben. Die medizinischen Labors in Nordkalifornien stecken in einer skandalösen Krise.» Grace verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu, wie die zwei sich erneut daranmachten, Reuben Blut abzunehmen, und Röhrchen um Röhrchen damit füllten.
    Gegen Ende der Woche war seine Genesung so weit fortgeschritten, dass Grace die Welt nicht mehr verstand. Den größten Teil des Tages ging er spazieren oder saß irgendwo und las, was die Zeitungen über das Massaker, Familie Nideck und das rätselhafte Tier schrieben. Dann verlangte er nach seinem Laptop. Sein Telefon war noch von der Polizei beschlagnahmt, deshalb bat er um ein neues.
    Sein erster Anruf galt seiner Chefin, Billie Kale. «Es gefällt mir nicht, Gegenstand all dieser Geschichten zu sein», sagte er. «Ich will selbst darüber berichten.»
    «Darauf warten wir schon die ganze Zeit, Reuben. Maile mir deinen Artikel, wenn er fertig ist. Wir haben einen Deal.»
    Seine Mutter überbrachte ihm die Mitteilung, das Krankenhaus sei bereit, ihn auf eigene Verantwortung zu entlassen. «Mein Gott, wie du aussiehst, mein Baby! Du musst dir dringend die Haare schneiden lassen!»
    Ein Arzt, mit dem Grace befreundet war, schaute vorbei, und sie unterhielten sich im Flur. «Ob du’s glaubst oder nicht: Die Laborergebnisse stimmten hinten und vorne nicht, und das meiste ging sowieso verloren.»
    Langes Haar? Reuben stand auf, um

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