Das Geschenk: Roman
KOMMEN.«
Er betätigte die AUS-Taste und lehnte sich zurück. Das Handy klingelte erneut, doch Tom reagierte nicht. Das Gerät schaltete auf Voice-Mail um und klingelte abermals. Tom stellte es ab. Nun, das war einigermaßen gut gelaufen.
Zu seiner Zeit war Mark Twain die wohl am häufigsten zitierte Persönlichkeit gewesen, und einer seiner berühmten Aussprüche war aus einer Falschmeldung entstanden, die alle Welt hatte glauben lassen, dass der große Schriftsteller gestorben sei. Um einen Kommentar zu seinem angeblichen Hinscheiden gebeten, hatte Twain schelmisch gemeint, die Nachricht von seinem Tod sei »ziemlich übertrieben« gewesen.
Wahrscheinlich, überlegte Tom, hätte der gute Mann sich nicht so ausgedrückt, hätte er das Pech gehabt, in diesem Moment in Lelias Reichweite zu sein. Dann hätten die Umstände seines gewaltsamen Todes gar nicht übertrieben genug dargestellt werden können.
Als der Cap sich wieder in Bewegung setzte, machte Tom es sich gemütlich, knipste die Beleuchtung aus und bezog Posten am Fenster. Der Zug verlangsamte seine Fahrt jedoch noch einmal, und während Tom in die Dunkelheit schaute, konnte er die Grabsteine eines kleinen Friedhofs erkennen, an dem der Zug gemächlich vorbeirollte.
Ein wenig aufgeschreckt durch die Nähe so vieler verlorener Seelen erhob Tom sich abermals und begab sich auf einen Spaziergang. Er war noch nie so viel zu Fuß gegangen wie in diesem Zug.
KAPITEL 16
Am Imbissstand unweit der Treppe schenkte Tom sich eine Tasse Kaffee ein und machte sich auf den Weg zum Salonwagen. Die meisten Abteile waren um diese Zeit dunkel, und er sah niemanden auf dem Gang. Beinahe konnte Tom den Eindruck bekommen, in diesem zehn Waggons langen Zug, der durch die Nacht rollte, allein zu sein. Auch im Speisewagen war es still und dunkel, nachdem das Servicepersonal sich längst in seine Quartiere im Liegewagen zurückgezogen hatte. Im Salonbereich war die Beleuchtung gedämpft worden; auch dort schien sich niemand mehr aufzuhalten. Der Zug beschleunigte wieder, und Tom stützte sich auf eine Sitzlehne, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er zuckte zurück, als seine Hand menschliche Haut berührte, und verschüttete beinahe seinen Kaffee.
Eleanor schaute zu ihm hoch. Sie schien genauso erschrocken zu sein wie er. Auch sie hielt eine Tasse Kaffee in der Hand.
»Mein Gott«, sagte sie, »ich hab dich gar nicht gehört.«
Er blickte vielsagend auf ihren Kaffee. »Leidest du immer noch unter Schlaflosigkeit?« Mit diesem Problem hatten sich damals beide herumschlagen müssen – vielleicht wegen zu vieler Zeitzonenwechsel, zu vieler Reisen und sicher auch zu vieler Schreckensgeschichten, die sie aufgedeckt hatten und von denen sie noch heute gelegentlich im Schlaf heimgesucht wurden.
Eleanor rieb sich die Schläfen. »Es ist schon seltsam. Ich dachte, ich hätte es überstanden. Aber in letzter Zeit macht es sich wieder häufiger bemerkbar.«
»Schon gut, ich habe verstanden. Ich suche mir gern einen anderen Platz, um meinen Kaffee zu trinken und über die grenzenlosen Möglichkeiten meiner Zukunft nachzudenken.«
»Nein, ich kann gehen«, bot sie an.
»Wir beide sind erwachsen«, sagte Tom, »und ich glaube, wir können in einem so großen Zug durchaus miteinander auskommen, wenigstens eine Zeit lang.«
»Das ist wirklich sehr erwachsen von dir.«
»Ich hab manchmal lichte Momente.«
Sie schwiegen beide, während der Cap Fahrt aufnahm und schließlich mit hundertzwanzig Stundenkilometern über die Gleise donnerte. Noch nie, überlegte Tom, ist die Dunkelheit mit so viel Zielstrebigkeit vorübergehuscht.
»Ich frage mich die ganze Zeit, weshalb du wirklich mit diesem Zug fährst«, sagte Eleanor schließlich. »Du wolltest doch immer so schnell wie möglich ans Ziel kommen.«
»Ich hab’s dir doch erklärt. Ich arbeite an einer Geschichte über eine Eisenbahnfahrt – was ein wenig schwierig wäre, wenn man diese Fahrt nicht unternimmt.«
»Und das ist alles?«
»Warum sollte da sonst noch was sein?«
»Das weiß ich ja eben nicht. Aber du brauchst es mir nicht zu sagen. Es ist ja nicht so, dass du mir irgendeine Erklärung schuldig bist.«
Er dachte über diese Aussage nach – sie konnte bedeuten, dass Eleanor ihm ebenfalls keine Erklärung schuldig war –, unterließ dann aber einen Kommentar. Stattdessen erzählte er ihr vom Wunsch seines Vaters und davon, wie er diesen Wunsch zu erfüllen gedachte, auch wenn sein alter Herr es nie erfahren
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