Das Geschenk: Roman
Styropor und eine Reservedecke?«, fragte Tom.
Regina eilte davon und kam kurz darauf mit Eiskiste, Decke und Taschenlampe zurück. Tom bohrte ein paar Luftlöcher in die Kiste; dann leuchtete er unter den Tisch. Verängstigt wich das Tier zurück. Tom lächelte.
»Okay, Kristobal«, sagte er, »stellen Sie sich so hin, dass sie nicht an Ihnen vorbeikommt, falls sie flüchtet.«
Kristobal blieb auf dem Tisch stehen. »Sind Sie verrückt? Egal, was für ein Ungeheuer das ist – ich werde mich hüten, auch nur in seine Nähe zu kommen!«
Tom blickte Eleanor an.
»Okay, okay«, sagte sie, »aber ich kann dir nichts versprechen.« Sie begab sich ans andere Ende des Eisenbahnwaggons und schaute Tom erwartungsvoll an.
»Los geht’s«, sagte er. Mithilfe der Decke konnte er die Kreatur in die Enge treiben und in die Kiste legen, wobei sie ihm um ein Haar doch noch entwischt wäre. Sie steuerte auf Kristobal zu. Der junge Mann schrie so laut, dass er wahrscheinlich jeden Einwohner Pennsylvaniens aus dem Schlaf riss.
»Was ist das?«, fragte Eleanor, die das Tier nicht genau hatte erkennen können.
»Eine Boa constrictor. Allerdings ein junges Exemplar, einen bis anderthalb Meter lang. Sie hat eine wunderschöne Zeichnung.«
»Einige meiner Freunde in LA haben Schlangen als Haustiere«, sagte Eleanor.
Kristobal starrte sie entsetzt an. »Das ist ja der reinste Albtraum! Ich wollte nur meine Sonnenbrille und mein altes Gehalt, stattdessen werde ich beinahe umgebracht von diesem … diesem Monstrum!«
Eleanor lächelte. »Sie sind doch ein Tierfreund, Kristobal. Sie haben selbst ein Haustier, nicht wahr?«
»Ja, einen Jack-Russell-Terrier. Aber Sie können meinen kleinen Hemingway doch nicht mit dieser … dieser Höllenschlange vergleichen.«
Eleanor überlegte. »Wem mag das Tier gehören? Soviel ich weiß, gibt es in Pennsylvanien keine solchen Schlangen in freier Natur.«
Tom gab ihr Recht. »Wahrscheinlich hat sie sich irgendwie aus ihrem Käfig befreit und war selbst zu Tode erschreckt.«
»Ich werde mich darum kümmern und mich erkundigen, wessen Tier das ist«, sagte Regina. »Es dürften nicht allzu viele Leute im Zug sein, die eine Schlange im Reisegepäck haben … hoffe ich jedenfalls.« Sie schien nicht sehr glücklich zu sein, die Boa in ihre Obhut zu nehmen.
Plötzlich hatte Tom eine Idee, auf die wahrscheinlich nicht einmal Max Powers gekommen wäre.
»Wissen Sie was, Regina? Lassen Sie das Tier bei mir, während Sie sich erkundigen, wem es gehört.«
»Was haben Sie mit der Schlange vor?«
»Ich habe einen ganz speziellen Freund an Bord, dem ich sie gern zeigen würde.«
»Na schön. Aber lassen Sie diese Bestie bloß nicht frei!«
Tom gab Kristobal ein Zeichen. »Sie können wieder runtersteigen.« Der junge Mann kletterte widerstrebend vom Tisch. »Sie suchen Ihre Sonnenbrille?«, fragte Tom. Kristobal nickte. »Und ich vermisse meinen Füllfederhalter, und Father Kellys Kruzifix ist auch verschwunden.«
»Und meine silberne Haarbürste ebenfalls«, meldete Eleanor sich zu Wort.
»Und Mr Powers sagte, seine vergoldete Geldklammer sei nirgends mehr zu finden«, fügte Kristobal hinzu.
»Und vergessen Sie nicht, dass dieses Ekelpaket Merryweather ebenfalls irgendwelche Dinge vermisst«, sagte Tom. »Ich glaube, wir haben einen Dieb an Bord.«
Regina rieb sich die Stirn. »Warum muss ausgerechnet mir das passieren? O Gott, warum gerade mir?« Sie wickelte sich fester in ihren Morgenmantel. »Okay, ich schreibe einen Bericht für die Amtrak-Bahnpolizei, wenn wir nach Chicago kommen. Sie werden sich wahrscheinlich mit Ihnen allen unterhalten wollen. Sie brauchen Ihre Aussagen. Tut mir Leid. So was kommt sehr selten vor, das kann ich Ihnen versichern. Die meisten Fahrgäste lassen ihre Wertsachen ganz offen herumliegen, und nie passiert etwas. Es tut mir ehrlich Leid.«
Niedergeschlagen kehrte sie in ihr Quartier zurück.
»Was hast du mit der Schlange vor, Tom?«, fragte Eleanor.
Tom grinste. »Ich habe doch gesagt, ich will sie einem ganz speziellen Freund zeigen.«
»Wem?«
»Du wirst schon sehen. Kommen Sie, Kristobal, wir brauchen Sie.«
»Hören Sie, ich will keinen Ärger wegen einer Schlange. Ich wollte sowieso nie mit dem Zug fahren. Ich meine, Mr Powers hat schließlich einen Privatjet.«
Tom nickte. »Schon gut. Tun Sie bloß, was ich Ihnen sage, und alles ist in Ordnung.«
Ein paar Minuten später lugte jemand in Gordon Merryweathers Abteil und sah, dass der
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