Das Geschenk: Roman
Limited entwendeten Dinge –, waren ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben worden. Niemand hatte etwas gesehen; niemand konnte erklären, weshalb der Täter einen so drastischen Sinneswandel durchgemacht hatte. Roxanne und Father Kelly verzeichneten es schlicht unter der Rubrik »Weihnachtswunder«.
Nach dem Essen, das anlässlich der Festtage mit roten und weißen Garnierungen serviert wurde, bat man jeden Fahrgast, sich im Salonwagen einzufinden. Während die Leute eintrafen, sahen sie zu ihrer Überraschung, dass an einem Ende des Waggons eine Art Bühne aufgebaut war. Max spielte den Part des Zeremonienmeisters und brachte die Versammelten in eine erwartungsvoll-weihnachtliche Stimmung, ehe er zur Bühne zeigte und rief: »Höre ich da etwas? Kommt da vielleicht jemand?«
Aller Aufmerksamkeit richtete sich auf die Bühne, als dort eine Puppe erschien, und ein Kind rief aufgeregt: »Das ist ja Cuppy, der Wunderbiber!« Und dann rief ein anderer kleiner Junge: »Und da ist Petey, die Gurke!« Und dann gesellten sich Sassy das Eichhörnchen und Freddy der Futon zu ihren berühmten Freunden auf der Bühne, und das Spiel begann.
Hinter der Bühne bewegten Lelia und Kristobal die Handpuppen. Lelia hatte die Zeichentrickfiguren immer als Puppen dabei, falls ihr auf Reisen Fans im Kindesalter begegneten. Oft verschenkte sie die Puppen auch. Sie imitierte sämtliche Stimmen absolut überzeugend und wechselte mit der Perfektion eines wahren Profis von einem Möbelstück über eine Gurke hin zu einem Waldbewohner.
Während einer Pause sagte Kristobal im Flüsterton zu ihr: »Es ist mir wirklich eine große Ehre, Lelia …« Sie gaben einander hinter der Bühne einen freundschaftlichen Kuss, während Sassy und Cuppy sich gegenseitig auf die Köpfe hauten, was den Kindern und sogar den Erwachsenen brüllendes Gelächter entlockte.
Der Weihnachtsmann kam genau nach Plan. Gespielt wurde er vom athletischen Barry in einem klassischen Santa-Kostüm, das für solche Zwecke auf dem Chief bereitgehalten wurde. Die Rolle des Weihnachtsmanns war so beliebt, dass die Amtrak-Angestellten oft das ganze Jahr hindurch kämpften, sich stritten und einander bestachen, um zu Weihnachten die Hauptrolle spielen zu dürfen. Wie es sich gehört, wurden die Geschenke von den Elfen des Weihnachtsmanns verteilt, die von Tom und Ellie, Max und Misty gespielt wurden. Die Geschenke hatten Fahrgäste beigesteuert; es handelte sich um Gaben, die sie eigentlich ihren Familien mitbringen wollten. Alle nahmen bereitwillig an der kleinen Feier teil, und die Kinder waren glücklich und zufrieden, was die Anspannung der Erwachsenen erheblich minderte.
Der Knabenchor sang unter Roxannes Leitung Weihnachtslieder, und alle stimmten aus voller Kehle ein. Und zum ersten Mal schien es, als habe jeder eine wundervolle Singstimme. Als der Abend voranschritt, wurde immer häufiger gegähnt. Gäste wünschten Gute Nacht; Fremde klopften einander auf den Rücken und versicherten, es wäre ein sehr schöner Heiligabend gewesen. Dann begaben sie sich zum Schlafen in ihre Unterkünfte.
Eleanor und Tom begleiteten Roxanne, um ihr zu helfen, die Los-Angeles-Sängerknaben zu Bett zu bringen. Sie wollten gerade den Waggon verlassen, als einer der Jungen nach Roxanne rief.
Sie setzte sich zu dem kleinen Kerl, von dem sie wusste, dass er Oliver hieß.
»Na, was ist?«, fragte Roxanne, während Tom und Eleanor hinter ihr stehen blieben.
Olivers Augen waren weit aufgerissen und so groß, dass vom Rest seines Gesichts kaum noch etwas zu sehen war. Der Junge hatte eine Stimme, die auch die schwärzeste Seele auf diesem Planeten milde stimmen konnte, und er war für gewöhnlich ein unbeschwerter, fröhlicher kleiner Kerl, doch nun schien er von schrecklichen Sorgen geplagt zu sein.
»Patrick sagt, es gibt den lieben Gott nicht.«
Roxanne verschlug es den Atem. »Was? Patrick, komm sofort her!«
Patrick näherte sich in seinem gestreiften Pyjama. Er gehörte zu den älteren Jungen; ein großer, dünner Bursche, der immer sehr selbstbewusst auftrat. Er las sehr viel, war ausgesprochen intelligent und sah mit seiner Brille wie ein kleiner Gelehrter aus.
Roxanne baute sich drohend vor ihm auf und stemmte die Hände in ihre ausladenden Hüften. »Raus mit der Sprache. Warum hast du das zu Oliver gesagt?«
Die anderen Jungen blickten über die Sitzlehnen und lauschten neugierig. Tom und Eleanor wechselten vielsagende Blicke.
»Es ist ein schlichter
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