Das Gesetz der Freiheit
Unparteiischen als auch die schriftlich niedergelegte und auch von Dell bestätigte Vereinbarung, auf der Stelle die Produktion auf einen möglichst hohen Stand zu bringen. Seinen hochfliegenden Plänen hätte Dell höchstens ein störendes Hindernis bedeuten können.
Bender hatte all das getan. Daran bestand kein Zweifel. Und noch eines hatte er vollbracht.
Er hatte Madge ermordet!
Der Wegelagerer auf dem Dach gegenüber hatte nicht vorbeigeschossen. Sein Ziel war gar nicht der Mann gewesen, sondern die Frau. Solange Madge noch lebte und stets bereit war, unerquickliche, peinliche Fragen zu stellen, mußte Bender Vorsicht walten lassen, waren ihm die Hände gebunden. Er kannte Madge viel zu gut, als daß er Hoffnung gehabt hätte, die ganze Fabrik unter seinen uneingeschränkten Einfluß bringen zu können, solange Dell Westons Frau die Hälfte aller Gewinne für sich persönlich beanspruchte. Und deshalb hatte sie sterben müssen.
Dell lehnte sich gegen die rauhe Mauer und zwang sich mit aller Kraft, nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren. Seine Lippen wurden schmal, während er sich Stück für Stück überlegte, wie alles geschehen sein mußte. Und hart ballte er die Fäuste, als er daran dachte, was er mit seinem Geschäftspartner machen würde, falls er je wieder Gelegenheit dazu bekam. Langsam, ganz langsam kehrten Ruhe, Kraft und Überlegung zurück. Endlich stieß er sich von der Wand ab und marschierte mit steifen, ungelenken Gliedern den grellen, strahlenden Lichtern der Stadt entgegen.
Ein schneidender Wind hatte sich erhoben.
Da kam ein Mann die Straße entlanggeschlurft. Dell vertrat ihm den Weg und streckte eine Hand aus.
„Einen Augenblick!“
„Was ist?“
„Ich bin fremd hier in der Stadt. Könnten Sie mir wohl den Weg zur Fürsorgestelle zeigen?“
„Fürsorgestelle?“ Der Mann lachte verblüfft auf und starrte Dell mit harten Augen an. „Mir scheint, Sie sind wirklich reichlich fremd hier. Fürsorge ist etwas, woran man in unserer Stadt nicht glaubt.“
„Vielleicht aber könnten Sie persönlich mir dann helfen? Ich brauche dringend etwas zu essen und einen warmen Platz, wo ich mich ausschlafen kann. Ich wäre Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, wohin ich mich wenden kann.“
„Zum Teufel können Sie meinetwegen gehen!“
„Bitte, ich flehe Sie an!“ stöhnte Dell verzweifelt. „Ich bin krank und brauche dringend etwas zu essen, ein bißchen Wärme und Schlaf.“
„Das brauche ich auch!“ feixte der Mann hämisch. „Wer sind Sie denn eigentlich?“
Er machte einen Schritt vor und schaute forschend in Dells Gesicht.
„Sie sind wohl auch einer von denen, was?“ Blitzschnell hob er die Faust, und fast im gleichen Augenblick wankte Dell unter der wütenden Gewalt eines heftigen Schlages. „Scheren Sie sich zum Teufel!“ Dell drehte sich um und rannte davon, so schnell seine müden Füße ihn über den gefrorenen Steinboden dahintrugen.
Gelächter verfolgte ihn. Hoffnungslos und bitter klang es.
Verzweifelt und erschöpft lehnte Dell sich gegen ein Gebäude. Er fühlte, wie alles Leben aus seinen Beinen und Füßen rann, wie ihm alle Glieder unter der Kälte erstarrten und der eisige Schweiß herandrängenden Fiebers ihm aus allen Poren brach. Er brauchte Wärme und etwas zu essen.
Mit starren Augen blickte er auf die helle Fassade eines billigen Speiserestaurants, und plötzliche Hoffnung ergriff Besitz von ihm. Solche Gaststätten nahmen es nicht so genau, und wenn man ihm nur erlaubte, die Teller zu waschen, dann war er wenigstens im Warmen und konnte womöglich genug verdienen, um sich ein warmes Essen zu kaufen.
Eilig überquerte er die Straße und setzte die Drehtür in Bewegung.
Hitze strömte ihm aus dem einfachen, schmutzigen Raum entgegen. Eine Wärme, zusammengesetzt aus Küchendunst, verbrauchter Luft, Tabakqualm und Menschenschweiß. Aber es war doch Wärme, die ihm den Frost und das Zittern aus den Gliedern taute.
Er bemerkte kaum, wie ihn ein Mann hinter dem Schanktisch anblickte und ein beleibter Wachmann auf seinem Stuhl unruhig und mißtrauisch hin und her rückte und ihn anstarrte.
„Was willst du?“
„Verzeihung!“ sagte Dell zu dem Mann hinter der Theke. „Ich bin völlig fertig. Haben Sie nicht Arbeit für mich, damit ich mir eine Mahlzeit verdienen kann?“
Der Mann, grunzte und musterte ihn mit verschlagenen Augen.
„Völlig fertig bist du?“
„Jawohl.“
„Und es kommt dir nicht so sehr darauf an,
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