Das Gesetz der Freiheit
Schanktisch, zündete sich eine neue Zigarette an und starrte düster in die verregnete Dämmerung hinter seinen Fensterscheiben hinaus.
Dell nahm ein paar kleine Schlucke aus seiner Kaffeetasse, ergriff das Besteck, lächelte das Mädchen ermutigend an und fing an zu essen. Das junge Mädchen zauderte noch einen kleinen Augenblick und machte sich dann nach einem unterdrückten Aufseufzen daran, das Fleisch in Stücke zu schneiden. Auf einmal aber fielen alle Hemmungen: gierig stopfte sie sich den Mund voll.
Eine Zeitlang aßen sie schweigend, genossen die heiße Speise, auch wenn sie noch so zäh und muffig war. Beide wußten ja nicht, wann ihnen die nächste Mahlzeit vergönnt sein würde.
Endlich seufzte Dell auf, schob seinen leeren Teller zurück und trank den Rest aus seiner Kaffeetasse.
„Möchten Sie mir nun etwas sagen?“
Sie blickte auf, schaute ihn an, und wieder fühlte er ihre Augen über das häßliche Brandmal auf seiner Stirn gleiten. Dann schweifte ihr Blick tiefer, bis er auf seinen Gesichtszügen ruhen blieb.
„Wer sind Sie überhaupt?“ fragte sie.
„Spielt das denn eine Rolle?“ Mit einem resignierten Schulterzucken deutete Dell auf seine Stirn. „Das, was andere an mir interessiert, trage ich doch ganz deutlich an meiner Stirn geschrieben. Wirft Sie das um?“
„Nein!“ Sie senkte den Blick, wurde ein wenig rot und spielte am Griff ihrer Kaffeetasse herum. „Warum haben Sie mich zum Essen eingeladen?“
„Warum sollte ich nicht? Sie hatten Hunger, und ich habe Geld. Ist es da nicht die natürlichste Sache von der Welt, Ihnen etwas zu essen zu spendieren?“
„War das wirklich der einzige Grund?“
Er blickte sie unverwandt an, und als er sich davon überzeugt hatte, was sie meinte, wurde er blutrot und schaute in einer Mischung aus Wut und Verlegenheit fort.
„Es war der einzige Grund“, sagte er ganz ruhig. „Ich habe wirklich keinerlei andere Absichten. Ich wäre froh, wenn Sie mir das glaubten.“
„Ja, ich glaube Ihnen.“ Impulsiv faßte sie ihn beim Arm, und er zuckte zusammen, denn seine Wunden taten unter der heftigen Bewegung weh.
„Sie sind verletzt?“ fragte sie erschrocken.
„Ach, es ist weiter nichts.“ Er lächelte ein wenig zerknirscht. „Nur eine harmlose Schramme.“
„Sie haben gestern abend im ‚Ring’ eine Messerstecherei gehabt, nicht wahr?“ Sie schaute zu dem schweigenden Gastwirt hinüber, der auf seinem Hocker hinter dem Schanktisch saß. „Ich weiß genau, was im Hinterzimmer geschieht; wir alle wissen es. Haben Sie gewonnen?“
„Ist das noch eine Frage?“
„Nein, Sie haben recht: die Tatsache, daß Sie noch am Leben sind, ist Beweis genug, daß Sie gesiegt haben.“ Wieder blickte sie ihn scharf an. „Sie sind nicht der Typ eines Messerstechers oder Ringkämpfers; Sie sind aber auch kein Betrüger oder Schuldner“, sagte sie dann bestimmt und voller Überzeugung. „Wer aber sind Sie dann?“
„Ich heiße Weston, Dell Weston. Früher einmal war ich Fabrikant und Geschäftsmann in der Hauptstadt, mehr als dreitausend Kilometer von hier entfernt.“
„Dreitausend Kilometer?“ rief sie verblufft aus und runzelte die Stirn. „Aber Dell, die Hauptstadt ist doch nicht weiter als dreihundert Kilometer von hier entfernt! Wie kommen Sie nur darauf?“
„Dreihundert?“ Völlig fassungslos blickte er das Mädchen an. Dann sank er schlaff in seinen Stuhl zurück, fühlte sich irgendwie erleichtert und lächelte bitter, während er noch einmal überlegte, was alles er in den vergangenen paar Stunden durchgemacht hatte. „Jetzt begreife ich endlich. Der Wachposten ist zweifellos dafür bezahlt worden, auf mich aufzupassen und mich in die Stadt zu jagen, ehe es mir gelang, mich gar zu genau über meine neue Umgebung zu informieren.“ Grinsend blickte er ihr ins verdutzte Gesicht. „Entschuldigen Sie, ich hatte ja völlig vergessen, daß Sie von alledem überhaupt nichts wissen. So, jedenfalls sind jetzt Sie an der Reihe. Wer sind Sie?“
„Eine Anti.“ Sie errötete leicht, als sie bemerkte, wie die Eröffnung auf ihn wirkte. „Ich schäme mich dessen keineswegs. Und ich habe auch gar nicht meinetwegen gebettelt. Wir versuchen nur, hier eine Fürsorgestation einzurichten, in der wir die Halbverhungerten speisen und den Heimatlosen eine Zuflucht bieten können.“
„Ich weiß schon, wie Sie sich das vorstellen“, nickte Dell. „Wir haben in der Hauptstadt eine solche Station. Aber eigentlich wollte ich nicht das von
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