Das Gesetz des Irrsinns
biographischen Tatsachen mitzuteilen und diese bewusst
falsch
anzugeben. Das war freilich anfangs des 19 . Jahrhunderts Mode:
Heine
hatte wohl in dieser Hinsicht mit der witzigen Irreführung betreffs seines Geburtsdatums den Ton angeschlagen, und andere folgten ihm darin nach. Aber bei unserem Autor geht die Düpierung des Publikums noch um ein gutes Stück weiter; er rühmt sich in seinen Schriften vieler Beziehungen zu Dichtern und Komponisten, die er überhaupt
nie
kannte oder nur so flüchtig, dass er eine Schilderung, die aus Autopsie stammte, niemals geben konnte. Deshalb musste er sich nach Bedarf jünger oder älter machen, um auf diese Weise den Glauben zu erwecken, als ob er wirklich zu bestimmten Persönlichkeiten in einem näheren Verhältnisse gestanden wäre. Natürlich führt er auch Briefe an, die an ihn gerichtet worden wären, oder berichtet ausführlich über Unterredungen, die er gehabt haben will.«
In der umfangreichen Monographie wird fortlaufend dokumentiert, dass der Dichter, Maler, Musiker in allen drei Sparten weithin erfolglos war, auch im Privatleben Niederlagen erlitt, dass er kompensierte durch Anreicherungen seines Lebenslaufs. Ein anglisierender Titel könnte lauten: »Lyser, loser and liar«.
Lyser galt als auffällige, irritierend interessante Erscheinung: er imitierte E. T. A. Hoffmann. Dazu hatte die Natur einige Vorgaben geleistet: Lyser war klein wie Hoffmann, schmal wie Hoffmann, leichtgewichtig wie Hoffmann, Lyser schrieb, aber längst nicht so gut wie Hoffmann, Lyser zeichnete, da kamen sie sich im Status schon näher, Lyser komponierte, doch wie gut oder mäßig das war, entzieht sich dem Urteil – außer Noten zu einem seiner Lieder ist nichts überliefert, zumindest ist im Laufe der Zeit nichts weiter aufgespürt worden.
Trotz aller Defizite – Lyser trat auf als Nachfolger, sogar als Doppelgänger des großen Schriftstellers, des respektablen Komponisten, des routinierten Zeichners Hoffmann.
Und was motiviert mich zur fingierten Selbstdarstellung des Johann Peter Lyser? Gewiss nicht dies: Einem ›zu Unrecht vergessenen‹ Schriftsteller erneut Präsenz zu verleihen. Lyser ist mit vollem Recht vergessen, war es bereits in seinen letzten drei Jahrzehnten. Nach dem frühen, Hoffnung erweckenden Roman
Benjamin
schrieb er unablässig weiter, und dies in vielen Sparten, schrieb, wortwörtlich, um sein Überleben in einer Zeit, in der es noch kein Copyright gab, in der die Zahlungsmoral der Verleger von Zeitungen, Zeitschriften, Almanachen unterentwickelt war, in der Zensur zusätzlich die Arbeit erschwerte. (Doch hier bot Lyser den Literatur-Aufsehern kaum Anlass zu Interventionen, er blieb angepasst in seinen Novellen, Märchen, Grotesken, Schnurrpfeifereien.)
Was Lyser hervorgebracht hat, war und ist für mich kaum von Belang. Mich interessiert weniger, was er geleistet, als
was er sich geleistet hat
.
In jener Ära ohne Medienübertragung von Bild und Ton wusste man wenig über Autoren. Beispielsweise Martin Wieland – welche Vorstellungen von ihm hatten Leser in Nord- oder Süddeutschland, Leser, die nicht nach Oßmannstedt pilgerten, um dem großen Autor ihre Aufwartung zu machen? Man las seine Bücher, hatte darüber hinaus höchstens mal ein Konterfei von ihm gesehen, etwa als Frontispiz. Was man über ihn hörte, vermittelte nur recht vage Vorstellungen. Und doch gab es bereits öffentliches Interesse an Personen hinter oder neben den Werken. Da wurde man bestens bedient von einem Lord Byron, der zur höchst interessanten Literatur eine höchst interessante Vita lieferte, die denn auch in Literaturkreisen kursierte, in mündlicher Überlieferung. Lyser zählte übrigens zu den Byron-Fans; er übersetzte (mindestens) eins der Gedichte.
Und Lyser selbst: was wussten damalige Leser von ihm? Seine (vorwiegend journalistischen) Beiträge waren über Gazetten verstreut, über Almanache und erfolglose Einzelpublikationen; von ihm als Autor konnte man sich kaum ein Bild machen. Höchstens sprach sich herum unter Literaturfreunden: Lyser ist auch Maler. Und: Lyser ist taub.
Das reichte nicht, also half er nach, sorgte für Ausgleich. Er war wohl der Erste (oder einer der Ersten?), der sich in unserem Sprachraum stärkere Präsenz zu verschaffen suchte mit einer Lebens-Story. Wenn man ihn schon nicht (oder kaum) las, sollte man wenigstens über ihn reden. Weil er aber auch biographisch wenig zu bieten hatte, reicherte er seine Erscheinung an. Dies, wie Hirth bereits
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