Das Gesicht der Anderen
“Das Management ist nicht eben sehr erfreut über die Aktion und zeigte sich zunächst wenig kooperativ.”
“Scheiß auf das Management. Es geht hier um ein sechzehnjähriges Mädchen, das möglicherweise in Gefahr ist.”
“Der Ernst der Lage ist mir durchaus bewusst, aber leider habe ich keine ganze Armee zur Verfügung. Nur ich und zwei meiner Leute sind hier. Und das Motel ist ziemlich groß, falls Ihnen das entgangen sein sollte.”
“Jetzt haben wir ja zwei Personen mehr, die alle Zimmer abklappern können”, sagte Dante. “Wir sollten also keine Zeit vergeuden.”
“Moment, Mr. Moran”, sagte Nesbitt. “Ich denke, das ist unsere Aufgabe.”
“Passen Sie mal auf. Ich gehe jetzt nach oben in den zweiten Stock und suche Leslie Anne Westbrook. Und davon können Sie mich nur abhalten, indem Sie mich festnehmen.”
Der Polizist verzog das Gesicht. “Ich bitte wenigstens um ein professionelles Auftreten”, sagte Nesbitt zu Dante.
“Kein Thema.”
Dante und Dom nahmen sich den einen Gebäudetrakt vor, während der Polizeileutnant und seine Leute den anderen überprüften. Dom übernahm die Zimmer rechts des Flures, Dante links. Zuerst klopften sie und warteten auf Antwort. Erfolgte keine Reaktion, klopften sie ein zweites Mal und informierten den Gast durch die Tür, worum es ging. Wurde auch dann nicht geöffnet, schlossen sie mit den vom Motelmanager nur widerwillig zur Verfügung gestellten General-Keykarten die jeweilige Zimmertür auf.
Dante klopfte an die Tür von Zimmer 231. Keine Reaktion. Er klopfte noch einmal. “Bitte öffnen Sie!”, rief er. “Das ist eine offizielle polizeiliche Hausdurchsuchung. Es geht um ein verschwundenes Mädchen, das sich hier im Haus aufhalten soll.”
Nichts. Dante klopfte ein weiteres Mal, dann steckte er die Karte ins Schloss und öffnete die Tür. Das Zimmer war dunkel bis auf einen schwachen Lichtschimmer, der von außen durch die Jalousie schimmerte. Zunächst dachte er, das Zimmer sei leer, doch dann hörte er ein unterdrücktes Wimmern. Er tastete über die Wand, bis er einen Schalter fand, und knipste das Licht an. Ein nackter Mann mittleren Alters sprang auf die Füße, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Auf dem Bett lag, ebenfalls nackt und offensichtlich unter Drogen gesetzt, ein junges Mädchen. Ein junges Mädchen, das Amy Smith wie aus dem Gesicht geschnitten war.
“Alles in Ordnung. Das ist meine Freundin”, sagte der nackte Mann und bückte sich nach seiner Hose, die auf dem Fußboden lag.
Dante zog seine Smith & Wesson aus dem Gürtelholster und zielte mit der Waffe auf die frei baumelnden Weichteile des Mannes. “Eine Bewegung und ich schieße dir die Eier weg, kapiert?”
Die Erektion des Mannes schrumpfte in sich zusammen. Er nickte. “Ich sag's Ihnen doch, das Mädchen ist meine Freundin. Candy. Sie heißt Candy.”
“Dom!”, rief Dante. Hatten sie Leslie Anne vor einer Vergewaltigung bewahren können? Er hoffte es inständig.
Dom Shea flog ins Zimmer und blieb schlitternd neben Dante stehen. “Was haben wir denn hier?”
“Kümmere du dich um diesen Perversling!” Dantes Zeigefinger juckte. Er hätte diesen schleimigen Bastard zu gern kastriert. “Und falls er versucht …”
Dom sah hinüber zu dem Mädchen, das hilflos auf dem Bett lag. “Verdammt!” Er ging auf den zitternden nackten Mann zu, drehte ihm die Arme auf den Rücken und führte ihn aus dem Zimmer. “Mitkommen! Die Polizei wartet schon.”
Dante ging hinüber zum Bett und deckte das Mädchen mit dem Laken zu. Sie sah ihn an. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Dann öffnete sie den Mund. “Helfen Sie mir.” Es klang mitleiderregend und ängstlich.
Dante wickelte das Laken fest um sie und hob sie in seine Arme. “Alles in Ordnung. Jetzt bist du in Sicherheit. Keiner wird dir mehr etwas tun. Ich arbeite mit der Polizei zusammen. Mein Name ist Dante Moran, und ich bin vom FBI.” Diese kleine Lüge benutzte er nur, um das Mädchen zu beruhigen.
“Der Mann … Er … er hat versucht … Er wollte mich …”
“Schon gut. Ganz ruhig. Ich bringe dich jetzt erst mal ins Krankenhaus.”
“Ich will zu meiner Mama.” In ihren braunen Augen schimmerten Tränen.
“Natürlich, Leslie Anne. Wir holen deine Mama so schnell wie möglich her.”
5. KAPITEL
T essa rannte zusammen mit Lucie Evans in die Notaufnahme. Auf dem Flug von Fairport nach Tuscaloosa waren ihr immer wieder Dantes Worte durch den Kopf gegangen:
Alles in Ordnung. Hören
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