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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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einem Brett lag eine halbe Zwiebel, daneben ein Bund Petersilie. Was hatte Mrs. Chang zum Abendessen zubereiten wollen?, grübelte er.
    An der Tür zum Flur, der ins Wohnzimmer führte, blieb Yindao stehen und bedeutete ihm, sich ebenfalls ruhig zu verhalten.
    Er bemerkte, dass die Türken inzwischen an der Hintertür standen. Yindao wandte ihm den Rücken zu, und er wies die Männer durch eine Geste an, zur Vorderseite zu gehen. Yusuf nickte und machte sich mit seinem Begleiter auf den Weg.
    Der Geist entschied sich, Yindao den Vortritt zu lassen. Sie sollte ruhig ein oder zwei Minuten mit den Changs im Wohnzimmer verbringen und sie in Sicherheit wiegen, sodass die Türken am Eingang Position beziehen konnten. Dann wollte der Geist vorrücken und Yindao anschießen, woraufhin die Türken die Tür eintreten und gemeinsam mit ihm die Familie erledigen würden.
    Er blieb an Ort und Stelle, griff unter den Anorak und zog die Waffe aus dem Hosenbund.
    Yindao tastete sich langsam in den dunklen Korridor vor.
     
     
    ...Fünfundvierzig
    Ein Geräusch, ganz in der Nähe.
    Ein Schritt?, fragte Sam Chang sich, der neben seinem jüngsten Sohn auf der Couch saß.
    Vorne? Hinten?
    Die Familie hatte sich im halbdunklen Wohnzimmer vor dem Fernseher versammelt, in dem gerade eine Talkshow lief. Der Ton war laut gestellt, aber Chang hatte dennoch eindeutig ein Geräusch gehört.
    Ein Knarren.
    Ja, ein Schritt.
    Was war das?
    Ein Phönix, der sich aus der Asche erhob? Ein Drache, der wütend darüber war, dass man ihm dieses schwere Haus auf seinen Unterschlupf gestellt hatte?
    Die Seele seines Vaters, die zurückkam, um sie zu trösten?
    Oder um sie zu warnen.
    Womöglich war es sogar Gui, der Geist, persönlich, der sie aufgespürt hatte.
    Ich bilde mir das bloß ein, dachte Chang.
    Doch als er quer durch den Raum zu William blickte, der in einer zwölf Monate alten Autozeitschrift gelesen hatte, saß dieser plötzlich kerzengerade da, hob den Kopf und schaute sich langsam nach allen Seiten um, wie ein Reiher, der nach dem Ursprung einer Bedrohung Ausschau hielt.
    »Was ist los?«, flüsterte Mei-Mei, der das Verhalten der beiden nicht entgangen war, und drückte Po-Yee an sich.
    Ein Klicken.
    Ein Schritt. Woher? Aus welcher Richtung?
    Sam Chang und William sprangen auf. Ronald wollte sich ihnen anschließen, aber sein Vater schickte ihn mit einer Geste ins Schlafzimmer. Dann nickte Chang seiner Frau zu. Sie sah ihm einen Moment lang tief in die Augen, begab sich mit dem Kleinkind dann zu ihrem jüngsten Sohn und schloss leise die Tür hinter sich.
    »Du weißt, was du zu tun hast, mein Sohn.«
    William ging neben dem Durchgang zum Flur in Position und hob das Eisenrohr, das Chang im Hinterhof gefunden hatte. Für den Fall, dass der Geist sie aufspüren würde, hatten Vater und Sohn sich einen Plan zurechtgelegt. Chang wollte den ersten Eindringling sofort erschießen - entweder den Geist oder seinen bangshou. Die anderen würden daraufhin vermutlich zögern, sodass William die Pistole des Toten schnappen könnte und sie dann beide eine Waffe hätten.
    Chang schaltete die beiden Lampen im Wohnzimmer aus, sodass er selbst kein deutliches Ziel abgeben, aber die Silhouette des Angreifers erkennen würde. Er wollte auf den Kopf zielen; von hier aus konnte er ihn gar nicht verfehlen.
    Er kauerte sich hinter einen Stuhl. Die Erschöpfung nach den Qualen auf dem Schiff, der Schmerz nach dem Verlust seines Vaters, die innere Leere nach der seelischen Belastung der letzten beiden Tage all das verdrängte er nun und richtete mit seinen ruhigen Kalligraphenhänden die Pistole auf den Durchgang zum Korridor.
    Amelia Sachs trat langsam in den dunklen Flur.
    »Warten Sie hier, John«, flüsterte sie. :
    »Ja«, antwortete er leise.
    Sie ging ein paar Schritte, zögerte kurz und rief dann: »Jetzt!«
    »Was?«, fragte der Geist irritiert.
    Doch anstatt ihm zu antworten, wirbelte sie herum und riss ihre Pistole so schnell hoch, dass statt der schwarzen Waffe nur ein grauer Schemen zu sehen war. Bevor der Geist auch nur daran denken konnte, die Glock zu heben, hatte Sachs die bedrohliche Mündung bereits auf seine Brust gerichtet.
    Amelias Ausruf hatte nicht dem Geist gegolten, sondern einem halben Dutzend Männern und Frauen in Kampfausrüstung - Bo Haumann und den anderen Beamten der Emergency Services Unit -, die nun in die kleine Küche stürmten. Sie kamen aus Richtung der Hintertür und aus dem Wohnzimmer, hatten ihre Waffen auf das

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