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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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der Anwalt ihm erklärt hatte, wie seine Auslieferung ablaufen würde, nickte der Geist und beugte sich vor. »Sie müssen mir einige Informationen besorgen.«
    Der Anwalt zog einen großen Block aus der Tasche. Der Geist warf nur einen kurzen Blick darauf und runzelte die Stirn. Der Anwalt steckte den Block wieder weg.
    »Bei der Polizei arbeitet eine Frau. Ich brauche ihre Adresse. Ihre Privatadresse. Amelia Sachs, sie wohnt in Brooklyn. S-A-
    C-H-S. Und Lincoln Rhyme. R-H-Y-M-E. Er wohnt in Manhattan.«
    Der Anwalt nickte.
    »Außerdem muss ich die beiden Familien finden.« Er hielt es nicht für angebracht, von seinen Mordabsichten zu reden, selbst wenn keine Abhöranlage installiert war, und so sagte er einfach: »Die Wus und die Changs. Von der Dragon. Sie könnten sich irgendwo in INS-Gewahrsam befinden, vielleicht aber auch nicht.«
    »Was haben Sie.«
    »Solche Fragen können Sie sich sparen.«
    Der schlanke Mann verstummte. Dann überlegte er. »Wann benötigen Sie diese Auskünfte?«
    Der Geist war sich nicht ganz sicher, was ihn in China erwartete. Er rechnete damit, sich in ungefähr drei Monaten wieder in einem seiner Luxusapartments zu befinden, vielleicht auch schon früher. »So schnell wie möglich. Sie behalten die Leute im Auge, und sobald sich eine der Adressen ändert, melden Sie das an meine Kontakte in Fuzhou.«
    »Ja. Selbstverständlich.«
    Der Geist war müde. Er lebte für den Kampf, er lebte, um tödliche Spiele wie dieses zu spielen. Er lebte, um zu gewinnen. Aber, ach, wie müde man wurde, wenn man Kessel zertrümmerte und Boote versenkte und einfach keine Niederlage akzeptierte. Jetzt brauchte er Ruhe. Sein qi musste sich dringend regenerieren.
    Er schickte den Anwalt weg, wurde zurück in seine antiseptisch saubere, quadratische Zelle gebracht, die ihn wegen der blauweißen Wände an eine chinesische Leichenhalle erinnerte, und ließ sich auf der Pritsche nieder. Dann schloss er die Augen und dachte an Yindao.
    Sie lag in einem Raum, einer Lagerhalle oder einer Werkstatt,
    die ein Feng-Shui-Fachmann gegen alle Regeln eingerichtet hatte, denn an diesem imaginären Ort sollten Wut, das Böse und der Schmerz maximiert werden. Auch das dürfte mit dieser Kunst möglich sein, davon war der Geist überzeugt.
    Yin und yang, Gegensätze in Harmonie vereint.
    Die unterwürfige Frau gefesselt am Boden.
    Ihre helle Haut in der Dunkelheit.
    Hart und weich.
    Lust und Schmerz.
    Yindao.
    Der Gedanke an sie würde ihm durch die schwierigen nächsten Wochen helfen.
    »Wir sind nicht immer gut miteinander ausgekommen, Alan«, sagte Rhyme.
    »Kann sein.« INS-Agent Coe blieb vorsichtig. Er saß in Rhymes Schlafzimmer auf einem der unbequemen Korbsessel, die der Kriminalist hier aufgestellt hatte, damit seine Besucher nicht allzu lange blieben. Der Ort dieser Unterredung war Coe nicht ganz geheuer, aber Rhyme wollte vermeiden, dass jemand mithören konnte. Dies musste ein absolut privates Gespräch bleiben.
    »Sie wissen bereits von der Freilassung des Geists?«
    »Natürlich weiß ich davon«, sagte der Mann wütend.
    »Verraten Sie mir, weshalb dieser Fall so wichtig für Sie ist. Ganz ehrlich.«
    Coe zögerte. »Der Geist hat meine Informantin ermordet«, sagte er dann. »Das ist alles.«
    »Ich sagte ganz ehrlich. Da ist doch noch mehr, oder?«
    »Ja, da ist noch mehr«, räumte Coe schließlich ein.
    »Was?«
    »Diese Informantin. Julia. Wir waren. wir waren ein Paar.«
    Rhyme studierte das Gesicht des Mannes sorgfältig. Obwohl er auf harte Fakten schwor, maß er den Emotionen eines Menschen durchaus Bedeutung bei. Er sah Schmerz und Trauer.
    Der Agent musste mit sich ringen. »Sie ist meinetwegen gestorben. Wir hätten vorsichtiger sein müssen. Wir haben uns in der Öffentlichkeit gemeinsam sehen lassen. Wir waren zusammen in Xiamen, dieser Touristenstadt südlich von Fuzhou. Da sind haufenweise westliche Besucher unterwegs, und ich dachte, man würde uns nicht erkennen. Vermutlich habe ich mich geirrt.« Er hatte jetzt Tränen in den Augen. »Ich habe sie nie zu etwas Gefährlichem gedrängt. Sie hat bloß hin und wieder einen Blick in die Terminkalender geworfen. Nie war sie verkabelt, nie ist sie irgendwo eingebrochen. Aber ich hätte den Geist besser kennen müssen. Bei ihm kommt niemand auch nur mit dem leisesten Verrat davon.«
    Ich bin mit dem Bus in die Stadt gefahren. Auf der Straße sah ich eine Krähe nach etwas Essbarem picken. Eine Artgenossin wollte es ihr stehlen, und die erste

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