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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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meiner Rettung herbeigeeilt sind.«
    Die kleine Skulptur stellte einen sitzenden Affen dar. Er wirkte irgendwie menschlich. Schlau und gerissen.
    »Das ist der Affenkönig, eine bekannte Figur aus der chinesischen Mythologie«, erklärte Sung.
    Amelia gab ihm das Amulett zurück. Er streifte sich den Lederriemen über den Kopf, und der Talisman ruhte wieder auf seiner muskulösen, unbehaarten Brust. Der Verband der Schusswunde schaute eine kleines Stück unter dem blauen Hemd hervor.
    Auf einmal war Amelia sich Sungs Nähe überdeutlich bewusst. Er duftete nach Seife, und seine Kleidung war mit einem scharf riechenden Waschmittel gereinigt worden. Sie konnte es sich nicht erklären, aber er strahlte etwas Behagliches aus - dieser Mann, der im Grunde genommen ein Fremder für sie war.
    »Wir postieren einen Streifenwagen vor Ihrer Wohnung«, sagte Sachs.
    »Um mich zu beschützen?«
    »Ja.«
    Das schien Sung zu amüsieren. »Die Beamten der Öffentlichen Sicherheit in China würden so etwas nicht tun - sie parken nur dann vor deiner Tür, wenn sie dich ausspionieren oder einschüchtern wollen.«
    »Sie sind nicht mehr in Kansas, John.«
    »Kansas?«
    »Nur so eine Redensart. Ich muss jetzt zurück zu Lincoln.« »Zu,?«
    »Der Mann, mit dem ich zusammenarbeite. Lincoln Rhyme.«
    Sie stand auf. Ein stechender Schmerz schoss durch ihr Knie.
    »Warten Sie«, sagte Sung. Er nahm ihre Hand. Seine Berührung schien eine Art ruhige Kraft zu verströmen. »Machen Sie bitte mal den Mund auf.«
    »Was?« Sie lachte.
    »Beugen Sie sich vor, und machen Sie den Mund auf.«
    »Warum?«
    »Ich bin Arzt. Ich möchte mir Ihre Zunge anschauen.«
    Belustigt kam Amelia der Anweisung nach, und Sung sah ihr mit prüfendem Blick in den Mund.
    »Sie haben Arthritis«, sagte er, ließ ihre Hand los und lehnte sich zurück.
    »Chronisch«, sagte sie. »Woran haben Sie das erkannt?«
    »Wie ich schon sagte, ich bin Arzt. Kommen Sie zu mir, und ich werde Sie behandeln.«
    Sie lachte. »Ich war schon bei Dutzenden von Ärzten.«
    »Die westliche Medizin hat durchaus ihre Berechtigung, aber zur Heilung chronischer Schmerzen und Beschwerden, die aus keinem ersichtlichen Anlass auftreten, sollte man sich lieber an die chinesische Medizin halten. Ein Anlass ist natürlich dennoch stets vorhanden, und ich kann vielleicht einiges bewirken. Immerhin stehe ich in Ihrer Schuld. Sie haben mir das Leben gerettet. Es würde mich mit Scham erfüllen, Ihnen diese gute Tat nicht vergelten zu können.«
    »Die beiden großen Kerle in den schwarzen Gummianzügen haben Sie gerettet.«
    »Nein, nein, ohne Sie wäre ich ertrunken, das weiß ich. Würden Sie also bitte zurückkommen und sich von mir helfen lassen?«
    Sie zögerte kurz.
    Dann aber zuckte wie als nachdrückliche Aufforderung ein weiterer Schmerz durch ihr Knie. Amelia ließ sich nichts anmerken, zog mit ruhiger Miene einen Stift aus der Tasche und schrieb Sung die Nummer ihres Mobiltelefons auf.
    Sonny Li stand am Central Park West und war verwirrt.
    Sollte sich hier nicht irgendwo eine Dienststelle der Sicherheitsbehörden befinden? Erst tauchte Hongse wie ein TV- Cop in einem schnellen, gelben Wagen auf, und nun leiteten die Beamten ihre Jagd nach dem Geist von einem derart luxuriösen Gebäude aus? Kein chinesischer Polizist konnte sich eine solche Behausung leisten, nicht einmal, wenn er zu den korruptesten gehörte (und es gab bei der Öffentlichen Sicherheit ein paar verflucht korrupte Bullen).
    Li schnippte die Zigarette weg und spuckte auf den Rasen. Dann überquerte er mit gesenktem Kopf eilig die Straße und bog in die Gasse ein, die zur Rückseite des Hauses führte. Sogar die Gasse war makellos sauber! Daheim in Liu Guoyuan - das zu den wohlhabenderen Städten Chinas zählte - hätten sich in einem solchen Durchgang turmhoch Abfall und irgendwelche ausgemusterten Haushaltsgeräte gestapelt. Li blieb stehen, spähte um die Ecke und entdeckte die Hintertür des Gebäudes. Sie stand offen, und heraus trat soeben ein junger Mann mit perfekt gestutztem blonden Haar, bekleidet mit einer dunklen Hose, dünnem Hemd und einer geblümten Krawatte. Er schleppte zwei grüne Mülltüten zu einem großen blauen Metallcontainer und warf sie hinein. Dann sah er sich kurz um, hob ein paar Papierfetzen auf und warf sie ebenfalls in die Tonne. Schließlich klopfte er sich den Schmutz von den Händen, ging wieder hinein und zog die Tür zu. Das Schnappschloss rastete nicht ein.
    Vielen Dank, Sir.
    Sonny Li

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