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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Rasterelektronenmikroskop.« Die komplizierten englischen Begriffe kamen ihm nur unbeholfen über die Lippen. »Und dann vergleichen Sie es mit einer Datenbank.«
    »Sie kennen sich mit den Geräten aus?«, fragte Rhyme verwundert.
    »Ob ich mich damit auskenne? Na klar, wir benutzen das Zeug doch auch. He, ich habe am Forensischen Institut von Peking studiert und war der Zweitbeste meines Jahrgangs. Man hat mir sogar eine hübsche Medaille verliehen. Ich weiß genau Bescheid, was hier läuft.« Er war genervt. »Wir leben nicht in der Ming-Dynastie, Loaban. Ich habe einen eigenen Computer mit Windows XP und auch jede Menge Datenbanken. Und ein Mobiltelefon und einen Pager.«
    »Okay, Sonny, ich hab's kapiert. Was haben Sie am Tatort gesehen?«
    »Disharmonie. Das habe ich gesehen.«
    »Bitte erklären Sie das«, sagte Rhyme.
    »In China ist Harmonie sehr wichtig. Sogar ein Verbrechen besitzt eine gewisse Harmonie. Aber in diesem Lagerhaus war nichts davon zu spüren.«
    »Wie würde denn ein harmonischer Mord aussehen?«, fragte Coe sarkastisch.
    »Der Geist findet den Mann, der ihn hintergangen hat. Er foltert ihn, tötet ihn und geht wieder. Aber, he, Hongse, wissen Sie noch? Da war alles verwüstet. Poster von China zerrissen, Buddha- und Drachenstatuen zertrümmert. Han-Chinesen tun so etwas nicht.«
    »Die Han stellen die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung«, erläuterte Eddie Deng. »Aber der Geist ist doch ein Han-Chinese, nicht wahr?«
    »Ja, aber er war nicht daran beteiligt. Das Büro wurde nach Tangs Tod zerstört. Das hat sie gesagt.«
    Sachs bestätigte diese Angabe.
    »Wahrscheinlich ist der Geist weggegangen, und dann haben diese Männer, die für ihn arbeiten, das Büro verwüstet. Ich glaube, er hat Angehörige einer ethnischen Minderheit als batu angeheuert.«
    »Als Schläger«, übersetzte Deng.
    »Ja, genau, als Schläger. Er hat sie aus einer der Minderheiten rekrutiert. Mongolen, Mandschu, Tibeter, Uiguren.«
    »Das ist doch verrückt, Sonny«, sagte Rhyme. »Harmonie?«
    »Verrückt?«, entgegnete Li und zuckte mit theatralischer Geste die Achseln. »Klar, Sie haben Recht, Loaban. Ich bin verrückt. Als ich gesagt habe, Sie müssten zuerst nach Jerry Tang suchen, war ich auch verrückt. Aber, he, falls Sie auf mich gehört hätten, wären wir Tang vielleicht rechtzeitig auf die Spur gekommen, hätten ihn lebend erwischt, an einen Stuhl gefesselt und so lange mit einem elektrischen Viehtreiber bearbeitet, bis er mit dem Versteck des Geists herausgerückt wäre.« Alle Anwesenden starrten ihn schockiert an. Li zögerte kurz und lachte dann. »He, Loaban, das war nur ein Scherz.«
    Davon war Rhyme nicht vollständig überzeugt.
    Li deutete auf die Tafel und fuhr fort. »Sie wollen Beweise?
    Okay, hier haben Sie Beweise. Schuhabdrücke. Kleiner als die des Geists. Han-Chinesen sind nicht groß. So wie ich. Nicht so groß wie Sie. Aber die Angehörigen der westlichen und nördlichen Minderheiten sind häufig sogar noch kleiner als wir. Also, ist Ihnen das forensisch genug, Loaban ? Das dachte ich mir. Machen Sie sich auf die Suche nach den Minderheiten. Dort werden Sie dann einen Hinweis auf den Geist finden.«
    Rhyme sah Sachs an und wusste, dass sie das Gleiche dachte wie er. »Was kann es schaden?«, fragte er Eddie Deng. »Was meinen Sie? Kennen Sie sich mit den Minderheiten aus?«
    »So gut wie überhaupt nicht«, räumte er ein. »Die meisten Leute, mit denen wir beim Fünften Revier zu tun haben, sind Han-Chinesen - Fujianesen, Kantonesen, Mandarin, Taiwanesen...«:
    Coe nickte. »Die Minderheiten bleiben lieber unter sich.«
    Nun, da sich endlich eine verfolgbare Spur abzeichnete, wurde Rhyme ungeduldig. »Na gut, aber wer kennt sich denn damit aus?«, fragte er. »Ich will der Sache nachgehen. Wie?«
    »Durch die Tongs«, sagte Li. »Die Tongs wissen über alles Bescheid, ob nun Han oder nicht Han.«
    »Und was ist ein Tong?«, fragte Rhyme, der sich in diesem Zusammenhang schemenhaft an irgendeinen schlechten Film zu erinnern glaubte, den er kurz nach seinem Unfall gesehen hatte.
    Eddie Deng erklärte, bei den Tongs handele es sich um chinesische Interessenverbände, deren Mitglieder entweder derselben Heimatregion entstammten oder dem gleichen Berufsstand angehörten. Viele Tongs wirkten im Verborgenen, und früher hatten auch die Versammlungen nur unter großer Geheimhaltung stattgefunden - der Begriff hieß übersetzt »Kammer«. In den Vereinigten Staaten wurden die Tongs zum

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