Das Geständnis der Amme
Männerkleidung mehr, aber ein einfaches Leinenkleid, das sie weder als Königin noch alsEdle auswies –, war er von dem Gedanken, dass sie seine Frau war, ebenso erregt wie befremdet. Gleichwohl seine Sinne darauf ausgerichtet waren, Gefahr zu wittern – drohte sie nun von Räubern oder von Männern des Königs –, fragte er sich, wie ernst sie den Ehebund nahm, den sie mit ihm geschlossen hatte.
Am Abend zuvor war sie es gewesen, die ihn zum Grafen geschickt und somit eine gemeinsame Nacht verschoben hatte. Doch wie würde es heute, morgen, in den nächsten Wochen sein? Allein bei dem Gedanken, die Hochzeitsnacht einzufordern, sich sein Recht als Ehemann zu nehmen, errötete er. Nie würde er das wagen. Und doch hätte er gerne gewusst, was sie darüber dachte. Ob sie wusste, dass er sie scheute … und zugleich derart begehrte, dass es ihm fast Angst machte? Nein, Letzteres ahnte sie gewiss nicht. Er war für sie nichts anderes als ein Helfer in der Not. Aber wie würde sie es ihm lohnen? Mit wie viel Widerwillen, mit wie viel Freude?
An jenem Tag kam er der Antwort nicht näher. Als es daran ging, das Nachtlager zu bereiten – da sie auf keine Herberge gestoßen waren, mussten sie im Wald bleiben –, war er zu beschäftigt, Feuer zu machen, etwas von dem geräucherten Fleisch zu wärmen und ein Zelt aufzustellen, um in ihrer Miene nach einem Zeichen zu suchen, wie sie zu ihrer Zweisamkeit stand. Und kaum hatte sie sich gestärkt und den erbärmlich zitternden Körper mit Fellen und Leder zugedeckt, war sie so müde, dass sie wortlos zur Seite rutschte und einschlief.
Er musterte sie besorgt, hatte Angst, dass die kommenden Tage noch mehr an ihren Kräften zehren würden – ihr Körper war nicht gerade für solche Prüfungen gemacht –, und konnte ihr doch nicht anders helfen, als dass er die Flammen nährte und noch ein Stück Fell über sie legte. Wahrscheinlich hatte sie es ihm nicht zeigen wollen, wie sehr der lange Ritt sie geschwächt hatte. Jetzt freilich hatte die Erschöpfung sie überwältigt, ob sie wollte oder nicht. Als er sie weiter betrachtete, stieg auch ein wenig Befriedigung in ihm hoch. Nicht immer und überall vermochte sie also die Starke und Beherrschte zu mimen. Das starre, stolze Auftreten,mit dem sie ihn einst ebenso verärgert wie verwirrt hatte, bekam Risse. Schließlich senkte er den Blick, als stünde ihm nicht zu, sich an ihrem Anblick zu weiden – zumindest nicht, solange sie schlief und nichts davon merkte.
Der zweite Tag glich dem ersten, nur dass er grauer und trüber war. Das Wetter schien auf Judiths Stimmung abzufärben, denn etwas von ihrer stummen und doch grimmigen Entschlossenheit wich einem Anflug von Traurigkeit. Ob sie die Flucht schon reute? Oder ob sie an Menschen dachte, die ihr nahestanden, so wie Ludwig, wie ihre Damen – wie Madalgis?
Er fragte nicht, und sie sagte kaum ein Wort. Als sie rasteten, war er noch schneller und dienstbeflissener, wenn es darum ging, ihr ein möglichst weiches, warmes Lager zu bereiten. Jene hektische Regsamkeit half ihm auch dabei, sich blind zu stellen, als sie sich in einem kleinen Bächlein wusch und sich danach im Gebüsch erleichterte. Als sie zurückkehrte, verbarg er seinen Blick vor ihr.
»Balduin …«, setzte sie an. Es klang unsicher, fragend.
Obwohl er nicht wissen konnte, was sie sagen wollte, hob er abwehrend die Hände. »Nicht jetzt«, meinte er schnell, von der Angst gepeinigt, sie würde anderes bereden wollen als nur, wie es am nächsten Tag weiterginge.
Sie bestand nicht darauf weiterzusprechen, sondern schwieg – und tat das auch am nächsten Tag, als er die Pferde in Richtung Hauptstraße zurücklenkte, um nach einem Kloster oder einer Herberge Ausschau zu halten. Dort wollte er frisches Futter für die Pferde kaufen und ihr, nach zwei Nächten im Freien, ermöglichen, wieder in einem Bett zu schlafen, auch wenn dieses wahrscheinlich nichts anderes sein würde als ein verlauster Strohsack.
Judith schien erleichtert, als sie sein Trachten erkannte, und noch mehr, als sie schließlich auf ein Dorf stießen. Es bestand nur aus ein paar Gehöften, die ärmlich wirkten. Doch schon bei dem ersten Haus, an dessen Tür sie klopften, wurden sie mit einem gastfreundlichen Lächeln empfangen, und dieses verstärkte sich, als Balduin fragte, ob er mit seinem Eheweib eine Nacht hier verbringen könnte, er würde mit ein paar Denaren dafür bezahlen.Das schien der Frau derart verlockend, dass sie nicht nur
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