Das Geständnis der Amme
die Basilika könne geweiht werden.
Waltrada begegneten sie in jener Zeit nur selten. Irgendwie gelang es ihr, selbst auf Reisen unsichtbar zu sein, und kaum hatten sie eine Pfalz erreicht, zog sie sich zurück. Der aufgeweckte Hugo hingegen war in seinem steten Drang nach Bewegung all-gegenwärtig, der, anders als bei seinem Vater, nicht hektisch und unruhig wirkte, sondern kraftvoll und lebendig.
Judith war gern mit ihm zusammen, ebenso wie Balduin, der sich anbot, sein Lehrmeister in Waffenkunde zu sein. In der Gegenwart eines Knaben, dem es trotz seiner ungesicherten Position, den Spannungen bei Hof und der Scheu vor seiner verzweifelten Mutter gelang, selten andere Sorgen zu haben als jene, die Übung mit den Holzschwertern besser zu beherrschen, konntensie sich dem Trug hingeben, man könne den Prüfungen des Lebens einfach dadurch entgehen, dass man sie nicht beachtete.
Der Herbst kam und neigte sich schließlich mit seinen bunten Farben, der frischen Luft und den letzten sonnigen Tagen, die das Rot und Gelb der Wälder golden leuchten ließen, zu Ende. Als Judith eines Tages – es war wieder in Trier – erlebte, wie die Fenster von einem jener Säle, die man im Winter nicht nutzte, mit dicken Balken verschlossen wurden, damit das Eis und der Schnee sie nicht zerstören konnten, hatte sie plötzlich ein sonderbares Gefühl: Sie ahnte, dass nicht nur für Pflanzen und Tiere die Schonzeit vorüber war und ein neuerlicher Kampf gegen bittere Kälte begann, sondern dass auch ihr Leben bald wieder von eisigen, schneidenden Herausforderungen bedroht werden würde. Sie seufzte und war sich nicht sicher, ob dieser Laut von Dankbarkeit geboren ward, weil sie zumindest diese letzten Monate in Frieden hatten leben dürfen, oder von schwelender Sorge.
Als sie später hinaus in den Hof trat, erblickte sie einen Wagen* der eben dort angekommen war und aus dem drei Frauen entstiegen, von denen sie zwei gut kannte und von der dritten erahnen konnte, wer sie war. Da wusste sie, dass sie ihr banges Gefühl, es würde von nun an wieder schwerer werden, nicht getrogen hatte.
Johanna rieb sich ihre schmerzenden Glieder. In ihrem Alter sollte man nicht reisen. Das hatte sie schon gedacht, als sie damals nach Senlis aufgebrochen war, um Balduin heimzuholen, und es bestätigte sich umso mehr auf dieser viel längeren, mühseligeren Fahrt. Das schwankende, rüttelnde Gefährt bedingte solche übelkeit, dass sie ab dem zweiten Tag nichts mehr hatte essen können. Selbst der Kräutersud aus Fenchel, den sie sich dagegen braute, stellte den flauen Magen nicht ruhig. Den einzigen Bissen Getreidebrei, den sie einmal während einer Rast zu sich genommen hatte, erbrach sie eine halbe Stunde später, kaum dass sich die Kutsche wieder in Bewegung gesetzt hatte.
»Für gewöhnlich leidet man unter solcher Krankheit nur auf hoher See«, hatte Joveta festgestellt und sich mit unverkennbarem Ekel abgewandt. Gott sei Dank enthielt sich wenigstens Madal-gis der Worte. Schlimm genug, die Gegenwart der beiden Frauen überhaupt ertragen zu müssen.
Allerdings – zumindest das musste sie ihr zugute halten – verdankte sie es Joveta, dass sie überhaupt von Judiths und Balduins Verbleib wusste.
Nach deren Flucht aus Senlis hatte sie tagelang dort ausgeharrt, misstrauisch belauert von Erpuinus von Senlis, vor allem aber von Hinkmar von Reims, die zwar nicht mit Worten, aber mit ihren abfälligen Blicken den Verdacht bekundeten, dass die drei Frauen etwas von Judiths Plänen geahnt hätten. Johanna hätte ihnen am liebsten entgegengehalten, dass sie es doch gewesen war, die den König einst gewarnt hatte – doch auf ein Weib wie sie hätten die beiden Männer wohl ohnehin nicht gehört.
Bald war ihr klar geworden, dass sie wohl oder übel nach Laon zurückkehren musste, nicht zuletzt, weil Balduin und Judith sich vielleicht dort befänden. Dies war der Gedanke, den auch Joveta gehegt hatte.
»Was soll ich denn hier?«, hatte sie gestammelt. »Ich stand immer unter Judiths Schutz! Für alle anderen bin ich nur das Kind eines Verräters!«
Du bist nicht nur das Kind von einem, hatte Johanna gedacht, du bist selbst zu einer Verräterin geworden … Gleichwohl ihr dieser Umstand hilfreich gewesen war, verachtete sie Joveta dafür, dass diese offenbar zuerst handelte und dann erst darüber nachdachte, dass sie sich von eifrigen Gefühlen hinreißen ließ und verspätet überlegte, wem sie was zu verdanken hatte.
»Ich … ich kann nicht in
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