Das Geständnis der Amme
besser betrachten zu können.
»Bist du Theuteberga?«, fragte er schließlich ernsthaft.
»Wie?«, entfuhr es Johanna. Theuteberga war Lothars verstoßene Frau, das wusste sie. Sie konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass sie irgendeine ähnlichkeit mit dieser unglücklichen Königin haben sollte.
»Bist du Theuteberga?«, bekräftigte der Kleine seine Frage.
»Wie kommst du nur darauf?«
»Ich habe gehört, dass Theuteberga eine böse Frau sein soll«, gab er ohne Scheu zurück. »Und du siehst sehr böse aus.«
Johanna war zu verblüfft, um ärgerlich zu antworten – und dann hatte der Knabe schon sein Interesse an ihr verloren und schlich ebenso leise wieder fort, wie er gekommen war. Ratlos schüttelte sie den Kopf, als sie ihm nachblickte, und als sie sich wieder umdrehte, gewahrte sie, dass Balduin zu ihr getreten war und offenbar das Gespräch belauscht hatte.
Augenblicklich erstarrte ihre Miene.
»Ich habe dich nie gefürchtet, als ich ein Kind war«, stellte er ruhig fest.
»Dieser Knabe fürchtet mich auch nicht«, schnaubte sie gereizt, »er hält mich lediglich für böse.«
»Und – bist du böse? Böse auf mich?«, fragte er ruhig, und als sie nicht antwortete, setzte er hinzu: »Was habe ich dir eigentlich getan, Johanna? Du folgst mir bis hierher, nimmst eine überaus mühselige Reise in Kauf, offenbar, um dich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass es mir gut geht – und dann beachtest du mich kaum, ja, strafst mich mit deinem Schweigen.«
Jenes Schweigen hatte sie bis jetzt fast heldenhaft gedeucht.Nun kam ihr erstmals in den Sinn, dass es erbärmlich und lächerlich wirken und als das Benehmen einer flatterhaften Frau gelten musste, die zuerst eine Reise ertrotzt hatte und dann nicht sonderlich an deren Ziel interessiert war.
»Wie kannst du so eine Frau lieben?«, brach es aus ihr hervor. »Sie macht einen … kalten Eindruck.«
Balduin seufzte. »Du hast sie nicht richtig begrüßt, du weichst ihr aus – und nun sprichst du ein Urteil über sie?«
»Ich will’s mir gern ersparen, sie näher kennenzulernen.«
»Johanna«, begann er sanft. »Sieh ein, dass du mit deinen Ratschlägen für mich nicht immer richtig gelegen hast. Du hast mir stets gesagt, ich solle auf meine Freundschaft mit Ludwig setzen. Und jetzt befindet er sich mitten in einer Revolte gegen seinen Vater. Bei der er voraussichtlich scheitern wird.«
»Gerade deswegen hättest du dem König deine Treue beweisen sollen!«, fuhr sie ihn an. »Und nicht dessen Tochter heiraten.«
Beherrscht war er ihr erschienen, als er zu ihr trat, noch um Geduld bemüht, sie zu verstehen. Doch jetzt erklärte er störrisch: »Misch dich nicht ein! Und wag es nicht, schlecht über Judith zu reden!«
Sie war geneigt, ihm zornig zu antworten, und tat es dann doch flehentlich. Sie trat zu ihm, legte ihre Hand auf die seine. »Ich war immer für dich da, Balduin, ich war deine Mutter. Ich hätte alles für dich getan, alles. Ich liebe dich doch wie ein eigenes Kind.«
»So?« Rüde schüttelte er ihre Hand ab. »Wenn du mich liebtest, würdest du mich verstehen! Doch das tust du nicht – nicht ohne Vorbehalte. Ja, du liebst es, wenn ich fröhlich und leichtsinnig bin. Du liebst es, wenn ich Erfolg habe und die bösen Normannen abschlachte – Letzteres freilich nur, solange es meiner guten Laune nicht abträglich ist. Denn vor allem anderen liebst du mein Lächeln. Aber liebst du es auch, wenn ich am Boden liege? Wenn ich exkommuniziert und meiner Lehen beraubt werde? Liebst du es, wenn ich schwermütig bin? Wenn ich weine? Judith ist anders als du. Sie … sie sieht, wer ich bin.«
Johanna rang nach Worten. Seine Vorwürfe setzten ihr mehr zu, als sie sich zugestehen wollte. »Und wer bist du, Balduin?«, gab sie knapp zurück. »Wer, wenn nicht ein Niemand?«
Er lächelte, doch diesmal geriet es bitter.
Ohne ihr eine Antwort zu geben, nur händeringend, wandte er sich schließlich ab und schien sichtlich erleichtert, dass sie nicht länger alleine waren. Einer von Lothars Leibdienern war unbemerkt zu ihnen getreten, hatte mit gesenktem Kopf abgewartet, bis ihr Wortwechsel zu Ende ging, und suchte nun die erste Möglichkeit, mit Balduin zu sprechen.
»Was ist?«, bellte jener ungeduldig.
Der Diener verbeugte sich tief. »Es tut mir leid, Herr«, stammelte er, »aber Ihr sollt zum König kommen. Augenblicklich. Es … es ist etwas geschehen, worüber er mit Euch zu reden hat.«
Judith hatte den Tag mit Joveta in
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