Das Geständnis der Amme
meisten. Nicht alle im Frankenreich lebten in Feindschaft mit diesen … Dänen. Nicht wenige trieben sogar Handel mit ihnen.
Das erklärte allerdings noch nicht, warum man ihn am Leben gelassen hatte.
Noch während er darüber nachdachte, fühlte Balduin Blicke auf sich ruhen – der vertraute und wie immer ausdruckslose des blonden Engels Eyvindr, der neugierige eines jungen Mädchens, dem zwei stramme, blonde Zöpfe über den Rücken fielen, die grimmigen einiger Krieger, die unter schweren Helmen zu ihm herüberstarrten, und schließlich die belustigten von ein paar Knaben, die mit kleinen Holzpferden gespielt hatten, es alsbald jedoch interessanter fanden, ihn zu betrachten. Sie lächelten ihn ohne Vorbehalt an, wagten es schließlich sogar, an seiner Kleidung zu zupfen, und obgleich die Krieger darob nicht minder grimmig blickten, schritten sie nicht ein.
Das Mädchen mit den Zöpfen trat zu Eyvindr und wechselte mit ihm einige Worte in einer fremden Sprache. Am Ende nickte er, woraufhin sie in eine der Hütten trat und wenig später mit einer Schüssel zurückkam, aus der es heiß dampfte und köstlich duftete. Gleichwohl er in den letzten Tagen stets ausreichend zu essen bekommen hatte, lief Balduin das Wasser im Mund zusammen. Er wollte nicht darum betteln und war doch ungemein dankbar, als das Mädchen ihm die Schüssel und einen hölzernen Löffel reichte. Ohne sich daran zu stören, wie die grimmigen Krieger und die lächelnden Kinder ihn dabei beobachteten, nahm Balduin einige Bissen von dem Eintopf. Er schmeckte nach Wacholderbeeren, Senfsamen und Knoblauch, und es schwammen einige fetttriefende Stücke Rindfleisch darin.
Nach einer Weile reichte er dem blonden Mädchen die leere Schüssel. Er wollte sich bedanken, war sich aber nicht sicher wie, weshalb er sie schließlich einfach nur anlächelte, auf jenestrahlende und zugleich spitzbübische Weise, mit der er stets Johannas Herz einzunehmen wusste.
Das Mädchen senkte die Augen, errötete sanft und kehrte dann rasch in ihre Hütte zurück.
Balduin wandte sich wieder an Eyvindr. »Ich … ich weiß, dass du meine Sprache nicht wirklich verstehst. Aber kannst du nicht wenigstens versuchen, mir zu antworten? Wo sind wir? Und was wollt ihr von mir?«
»Groa.«
Balduin seufzte, wusste diesen Namen nicht zu deuten – war es der des Dorfes, oder dachte Eyvindr womöglich, er hätte nach dem Namen des blonden Mädchens gefragt?
Ehe er sich einen Reim darauf machen konnte, wurde er von den Kriegern abgelenkt. Sie hatten das Ende seiner Mahlzeit abgewartet, um nun näher zu treten, ihn einzukreisen und misstrauisch zu mustern. In Balduins Magen, der sich eben noch satt und warm angefühlt hatte, begann es zu grummeln. Sollte der köstliche Eintopf nur seine Henkersmahlzeit gewesen sein und ihn nun das lang befürchtete Schicksal ereilen?
Doch die Männer packten ihn nicht, sondern begannen vielmehr, auf Eyvindr einzureden. Balduin konnte nicht heraushören, ob sie mit dem blonden Engel schimpften oder ob sie von Natur aus mürrisch und ärgerlich klangen.
Eyvindr zumindest schien sie nicht zu fürchten. Willfährig nickte er, um sich dann niederzubeugen, einen Stab zu nehmen und damit etwas in die noch regenfeuchte Erde zu ritzen.
Verwirrt sah Balduin ihm dabei zu. Doch als der Junge schließlich zurücktrat und Balduins Blick auf den Boden freigab, erkannte er, dass die Männer ein Mittel suchten – und in Eyvindrs außergewöhnlicher Fertigkeit fanden –, um sich mit ihm auszutauschen. Und er verstand schließlich auch, dass sie ihn nicht töten wollten, sondern ganz andere Pläne mit ihm hatten.
Nach einigen Stunden vergaß Balduin, dass die Sprache sie trennte. Er wollte zwar einige Wörter lernen, um sich bei derblonden Groa für ihre köstlichen Gerichte bedanken zu können, doch mit Eyvindr konnte er auch reden, ohne auf die rauen Silben zurückzugreifen. Er verstand ihn dank der Bilder, die Eyvindr in den Boden ritzte: nicht einfach nur einzelne Striche und Kreise, sondern ganze Szenen, viel detailreicher, viel gekonnter als jener Maler, der in der Pfalz des Grafen zu Laon die Wände mit frommen Szenen bemalt hatte.
Der engelhafte Knabe war ohne Zweifel mit einem ganz besonderen Talent gesegnet. Das Erste, was er gemalt hatte, war eine Karte, in der Land und Meer voneinander unterschieden waren, und auf dieser zeichnete er den Punkt ein, wo sich das Dorf befand. Ob es tatsächlich zum Land der Friesen gehörte, konnte Balduin nicht
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