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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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bestimmen, in jedem Falle war das Nordmeer nicht weit. Das nächste Bild zeigte Balduin, ausgewiesen durch seinen Verband an der Schulter, im Kreise von Eyvindrs Volk – offenbar ein Zeichen, dass man weder seinen Tod beabsichtigte noch vorhatte, ihn als Geisel zu behalten. Balduin atmete hörbar aus, als er jene Botschaft begriff; die Erleichterung füllte ihn derart besitzergreifend aus, dass er lange Zeit keinen anderen Gedanken fassen konnte als diesen: Er lebte. Er würde weiterleben.
    Erst die anhaltend grimmigen Blicke der Krieger schürten neue Fragen. Warum hatte man ihn hierher gebracht und versorgt? Welchem Zweck sollte das dienen? Das nächste Bild, das Eyvindr in den Boden ritzte, war nicht von derselben Klarheit wie die ersten beiden. Es dauerte mehrere Tage, da er es immer wieder malte, begleitet von Gesten der Krieger und schließlich ihrem Befehl, man möge Balduins Pferd und Waffen herbeiholen – bis er langsam begriff. Zuerst war er nur froh, das Tier zu sehen, ebenso wie sein Schwert und seine Lanze, ohne die er sich fast nackt fühlte. Doch als er erkannte, was all das bedeutete, durchzuckte ihn … ja, keine neue Furcht, zumindest nicht die Panik eines Menschen, der die Flügel des Todes über sich zusammengeschlagen wähnt, jedoch die Trauer und der Schmerz von einem, der von allem getrennt wird, was ihm einst kostbar war.
    Man zeigte ihm das Pferd, ließ ihn aber nicht dessen Rücken besteigen. Man holte seine Waffen, hielt ihn aber davon ab, nach ihnen zu greifen. Er war hier – so die Botschaft von Eyvindrs Bild –, damit er die Männer und Knaben des fremden Volkes die Kriegskunst lehrte und ihnen alles beibrachte, was er über Taktik und Waffenführung im Frankenreich wusste. Er hingegen würde fortan nicht mehr die Freiheit besitzen, dieser Kriegskunst selbst zu frönen. Er würde kaum etwas Besseres sein als ein Sklave, selbst wenn er keine Fußfesseln tragen musste und seine Haare nicht geschoren wurden.
    Als er begriff, dass das Überleben an den Preis geknüpft war, auf ewig ihr Gefangener zu sein, sackte er auf seine Knie. Eyvindrs Bilder verschwammen vor seinen Augen, und er schämte sich der Tränen nicht. In den letzten Tagen hatte er einzig an sich selbst gedacht, wo er war, wie es weiterginge, was man ihm antun würde – nun sah er die Menschen vor sich, von denen er getrennt war, seine verlorene Heimat. Das fremde Dorf hier, das ihm bislang unerwartet freundlich und friedlich vorgekommen war, schien plötzlich kleiner zu werden, ihn einzukreisen. Der runde Platz zwischen den Häusern dünkte ihn kaum größer als das Fleckchen Erde, auf dem er stand. Er musste sich ducken, um nicht erdrückt zu werden, musste den Bauch einziehen, auf dass ihm Luft blieb, und selbst dann wurde sie ihm knapp. Er rang nach Atem, glaubte zu ersticken, und das Bild vor ihm verschwamm nicht nur ob der Tränen, sondern ob einer viel schlimmeren, viel quälenderen Furcht als nur der vor dem Tod. Um wie viel gnädiger war es umzukommen, als auf ewig ein Heimatloser zu sein.
    Da fühlte er, wie Eyvindr die Hand auf seine Schulter legte, vorsichtig und steif. Er murmelte etwas in seiner Sprache, und dann, als Balduin nicht darauf reagierte, malte er wieder auf den Boden. Balduin fühlte, wie seine Brust langsam weiter wurde, wie er atmen konnte, wie die Schwärze vor seinen Augen sich lichtete. Die Hütten waren nicht näher gekommen, um ihn einzusperren. Der Platz dazwischen war viel größer, als er eben noch gedacht hatte.
    Er musterte Eyvindrs Bild, das den Jungen – ausgewiesen durch seine Locken – inmitten anderer Menschen zeigte. Offenbar war das seine Sippe, denn es befanden sich nicht nur großgewachsene Menschen darunter, sondern auch viele Kinder. Auf jede einzelne Figur deutete Eyvindr, um dann einen Namen zu sagen. Eysteinn, Erik, Eindride, Erlend.
    Unmöglich konnte Balduin sie sich alle merken, aber er fühlte sich in seinem Schmerz verstanden, umso mehr, als Eyvindr ein zweites Bild malte, diesmal eines von sich, wie er ganz allein auf dem Deck eines Schiffes stand, wohingegen die restliche Sippe an Land zurückblieb und ihm zum Abschied traurig winkte.
    Balduin erhob sich und schüttelte seine Glieder durch. Er nickte Eyvindr dankbar zu und fühlte sich von der Ahnung getröstet, dass all das Fremde hier nicht auf ewig fremd bleiben musste.
     
    Mehr und mehr erkannte er die Ordnung, welcher der Lauf des Tages unterworfen war, fügte sich darein und begann alsbald, bestimmte

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