Das Gewicht der Liebe
grandiosen Eindruck gemacht hätte – wäre sie dann eine gute Ehefrau gewesen? Nein, das Rezept für eine glückliche Ehe konnte nicht darin bestehen, dass eine Frau sich ihrem Mann in allem fügte, nur um ihn glücklich zu machen. Und so wütend sie im Moment auf Ty auch sein mochte, eine derartige Haltung würde sie ihm nie unterstellen.
Johnny sagte: »Simone ist jung, und man könnte meinen, wir hätten noch etliche Jahre Zeit, und vielleicht stimmt das ja auch. Aber vielleicht auch nicht, wer weiß. Sie kann dieses neue Baby vielleicht austragen, vielleicht nicht. Es gibt einfach keine Garantie. Olivia könnte unser letztes Kind sein. Deshalb müssen wir es weiterhin versuchen.
Du hast meinen Dad kennengelernt. Als er in dieses Land kam, war er noch ein Junge, ist das erste Mal mit knapp siebzehn Auto gefahren. Hat es vom Bau, wo er Betonplatten auf dem Rücken schleppte, zum eigenen Unternehmen gebracht. Er war mein Held, weißt du das? Aber natürlich weißt du das, Roxanne. Du hast das alles ja schon einmal gehört.«
Und du wirst es mir trotzdem noch einmal erzählen, dachte sie und fügte sich ins Zuhören.
»Dad wollte immer einen Sohn haben, der seinen Betrieb weiterführt, und meine Mom tat alles, damit er einen bekam.«
Sieben Mädchen und dann endlich ein Junge .
Er wirkte in sich versunken. »Dad erzählte mir, wie er sich an dem Tag fühlte, als ich zur Welt kam und er mich zum ersten Mal in den Armen hielt. Er sagte, jetzt endlich verstehe er, weshalb er geboren wurde.« Seine Stimme bebte vor Emotionen.
Sie beobachtete, wie er Tränen zurückblinzelte und sich mit der Hand über die Augen strich. Sie sah die Farbe der Scham in seinen Wangen erblühen und wurde sich be wusst, dass ihre Gefühle für ihren Schwager nicht zwischen Liebe und Abneigung schwankten, sondern sie empfand beides gleichzeitig. Diese Fähigkeit ihres Herzens, ja des menschlichen Herzens überhaupt, derart gegensätzliche Emo tionen gleichzeitig zu empfinden, erstaunte und beunruhigte sie, beleidigte ihren Ordnungssinn.
»Ich sollte jetzt gehen.«
»Nein, warte.« Er grinste, und mit dem Gleißen seines Lächelns veränderte sich die Stimmung im Raum, und Johnny war wieder der charmante Bulldozer. »Wir fahren am Freitag zum See, und ich möchte gern, dass du mit uns kommst. Keine Widerrede. Es ist das letzte lange Wochenende in diesem Sommer, und ihr beide, du und Ty, braucht etwas Urlaub.«
Er tat weit mehr, als lediglich einen Urlaub anzubieten. Nachdem er sich Roxanne offenbart hatte, war dies eine Möglichkeit, sich ihrer Anerkennung zu versichern. Nähme sie die Einladung an, würde sie ihm damit zu verstehen geben, dass sie ihn wegen seiner offenen Worte nicht für schwach hielt und Verständnis für seine Liebe zu seinem Vater und seinem Wunsch nach einem Sohn hatte.
»Wir fahren Montagfrüh zurück. Du hättest den ganzen Tag Zeit, um dich auf die Schule am Dienstag vorzubereiten. Bitte, Rox. Es würde mir sehr viel bedeuten. Uns allen.«
»Chowder …«
»Der Hund. Kein Problem. Wir nehmen das Flugzeug, und er kann mitkommen.«
»Hast du jetzt ein eigenes Flugzeug?«
»Von der Firma gemietet. Ich verbringe so viel Zeit in Vegas, da ist das sinnvoll.«
»Und fliegst du es selbst?«
»Himmel, nein, wann sollte ich Zeit haben, das zu lernen? Wir heuern einen Piloten an.«
Die granitknochigen Sierras, der Wald, ein stiller See.
»Wenn, dann würde ich allein mitkommen«, sagte sie. »Ty muss das ganze Wochenende über ein Experiment betreuen.«
Dieses Experiment markierte das Ende einer Phase-II-Studie, und Ty hatte ihr erklärt, er werde für einige Nächte in seinem Büro schlafen. Das hatte er noch nie zuvor getan, und sie hatte damals gedacht, er suche nach einer Ausrede, um nicht in ihrer Nähe zu sein. Inzwischen war sie allerdings selbst der Meinung, dass eine vorübergehende Trennung für sie beide eine Entlastung sein würde. Und wenn er sich absentieren konnte, warum nicht auch sie? Ein Wochenende am See würde ihr mehr Zeit mit Merell ermöglichen. Simone wäre glücklich, und Chowder würde durchdrehen vor Freude.
Johnny sagte: »Simone wird so glücklich sein, ein paar Tage mit dir unter einem Dach zu verbringen. Das wird wie in alten Zeiten sein.«
Die alten Zeiten …
Roxanne blieb bis zu ihrem neunten Lebensjahr auf der Ranch ihrer Großmutter in Daneville, und in dieser Zeit wurde für sie alles, was anfangs so fremd gewesen war, vertraut und heimelig. In all diesen Jahren kam
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