Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Augen blickten auf die Bietenden herab.
Wendra drehte es den Magen um. Welch ein Wahnsinn! Man kann doch nicht Menschen kaufen und verkaufen! Doch Jastail neben ihr war der lebende Beweis dafür, dass sogar Wendra sich ihre Freiheit nur einbildete. Und noch etwas lauerte dicht unterhalb ihrer bewussten Gedanken, etwas Schreckliches, vor dem ihr Geist zurückscheute, um es sie nicht sehen zu lassen. Wendra suchte verzweifelt nach einer Melodie oder einem Lied, das sie beruhigen könnte, doch der Anblick des jungen Mädchens schnürte ihr die Kehle zu. Jastail legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie schüttelte ihn nicht ab.
Wieder hob der große Mann die Hand und gab damit irgendeinen Preis bekannt. Alle Stäbe hoben sich. Der Mann lächelte und enthüllte faule Zähne. Er hatte den Wert der jungen Frau offenbar unterschätzt. Seine nächste Geste war sehr einfach. Danach blieb noch die Hälfte der Stäbe oben. Der Prozess wiederholte sich, und die junge Frau auf den Planken beobachtete mit wachsendem Entsetzen, was hier mit ihr geschah. Diesmal wurde über mehrere Runden geboten, doch noch immer flüsterte nur der Wind, der ihr weiches Haar zerzauste und ihre gekalkten Füße küsste, so dass zarte Staubwölkchen über die ordentlich geschliffenen Bretter wehten.
Als nur noch zwei Bieter übrig waren, wedelte einer von ihnen mit seinem Stab. Daraufhin zog der Auktionator der jungen Frau das Kleid aus, damit die potenziellen Käufer ihren nackten Körper betrachten konnten.
Wendra sank schwach gegen Jastail. Dieses Grauen raubte ihr alle Kraft, doch zugleich regte sich tief in ihr ein Lied. Kribbelnd breitete es sich in ihr aus, und ihr wurde schwindlig, während ihr Körper scheinbar mit sich selbst kämpfte – schwach, aber wütend, hilflos, aber vom Drang getrieben, etwas zu unternehmen, die Wut und Bitterkeit herauszulassen, die sich in ihr aufbauten.
Weitere Menschen wurden auf die Planken geführt, mit gepuderten Füßen und leeren Augen. Die meisten waren Frauen und Mädchen, hin und wieder war ein schwächlich wirkender Mann darunter, aber keine Alten.
Und dann wurde ein kleiner Junge auf die Planken gebracht.
37
SCHÜTZLINGE DES MALS
D ie Bezeichnung war treffend, fand Braethen. Das Mal fühlte sich an wie eine alte, nie ganz verheilte Narbe, die dem Himmel preisgegeben war. Der trockene, leicht gewellte Boden gierte sichtlich nach nährendem Regen, konnte die Feuchtigkeit aber nicht aufnehmen. Der Sodale sah kleine Mulden, in denen sich Regenwasser sammelte und beim Verdunsten Aschesalz hinterließ. Aufragende Felsen waren teils mit Kalksinter verkrustet, andere Stellen von vielen Jahren in der Sonne rot verfärbt und die Oberfläche rau wie die trockene Zunge eines Straßenköters. Eine unstete Brise wehte in längeren Abständen auf und verebbte wieder. Wenn der Wind vorübergezogen war, herrschte erneut die erdrückende Hitze der erbarmungslosen Sonne.
Diese Sonne stand nun zu ihrer Linken tief am Horizont, und ihr schwächer werdendes Licht warf violette Schatten. Braethen konnte sich nicht an einen Moment erinnern, in dem er sich je so einsam gefühlt hätte. Nur der Salbei war noch da, der sich in diesem trockenen, ausgebluteten Land ans Leben klammerte.
»Das Mal reicht tief«, bemerkte Vendanji und zügelte Su ensin.
»Wird das Land je wieder leben?«, fragte Braethen.
»Das fragst du besser einen Seher«, entgegnete Vendanji. »Aber solange die Stille fortbesteht, glaube ich nicht, dass Leben hierher zurückkehren wird.«
Das Abendlicht hing noch am Himmel. Braethen machte Feuer, und Mira gesellte sich zu ihnen, als sie ihre Proviantbeutel öffneten. Sie blickte in die Dunkelheit im Norden. »Auf dieser Ebene trägt eine Stimme sehr weit.«
Sie brauchte Braethen diese Warnung nicht näher zu erklären. Der Sodale nickte und aß sein Brot.
»Sie könnten ihn einkerkern, sobald wir in Decalam eintreffen.« Mira schaute jetzt nach Osten.
Vendanji musterte Braethen abschätzend. »Sie werden ihn verhören. Und die Liga wird sich für ihn interessieren, wenn er mit uns dort ankommt. Aber das können wir nicht ändern.«
»Ihr sprecht von diesem Grant. Wer ist er?«, fragte Braethen.
»Du solltest noch ein wenig mit dem Schwert arbeiten«, schlug Mira vor. »Ehe es völlig dunkel wird.«
»Eine gute Ablenkung, aber ich werde die Frage nicht ruhen lassen«, warnte Braethen sie lächelnd. Dann begann er seine Schwertübungen.
Doch die Antwort sollte ihn finden, noch ehe er ans Feuer
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