Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Shanbes Hand und das kunstvolle Netz aus Tintenzeichen entzückten sie. Sie erhob sich von ihrem Platz, legte dem Ta’Opin einen Arm um den Hals und drückte ihn an sich, bis sie befürchtete, den Mann zu ersticken.
Im Zurücktreten sagte sie: »Vielen Dank. Ich hätte nie gedacht … Danke.«
Penit schien sich über das Geschenk zu freuen. Er kam herüber, um es zu betrachten, als Wendra sich neben Shanbe setzte und seine Hand ergriff.
Jastails wachsamer Gesichtsausdruck entspannte sich, und er ließ die Hand vom Schwertgriff sinken. »Wie töricht von mir«, sagte er. »Ihr erweist meinem Feuer Ehre, also gebührt Euch auch mein Dank.« Er verneigte sich, aber nicht so tief, dass er den Überblick über die drei anderen verloren hätte. »Wir sollten aufbrechen«, sagte er.
»Ich auch«, fügte Shanbe hinzu. »Sichere Zuflucht Euch allen bei Eurem … Onkel, nicht wahr?«
»Auch Euch sichere Zuflucht«, erwiderte Jastail.
Shanbe zerzauste Penit das Haar und drückte Wendras Hand. Er sagte zu ihr: »Ich hoffe, Euch eines Tages noch einmal singen zu hören«, stieg dann auf seinen Wagen und fuhr zur Straße, wo er sich nach Norden wandte und eine Staubfahne hinter sich herzog, bis er hinter den Bäumen verschwunden war.
Jastails Lächeln zerfaserte ein wenig, aber nur in Ansätzen. Der Wegelagerer gab sich weiter gutgelaunt und rief Penit zu, aufzusteigen. Binnen weniger Augenblicke war Erde über das Feuer getreten worden, und Jastail führte sie zur Straße zurück.
Einen halben Tag lang ritten sie, und Penit stellte dem Wegelagerer unermüdlich Fragen. Wendra hielt sich hinter ihnen, während in ihr Dankbarkeit mit brodelndem Zorn rang. Mehr als einmal brach vor ihrem inneren Auge das Bild des Bar’dyn hervor, der ihr Kind umklammert hielt, und zwar jedes Mal, wenn sie sah, wie Jastail Penit aufmunternd berührte, während die beiden lachten und miteinander redeten. Sie kämpfte die Laute nieder, die ihren Lippen zu entschlüpfen drohten, und fragte sich, wie sie wohl in Shanbes schöner Notenschrift ausgesehen hätten.
Kurz nach Mittag führte der Wegelagerer sie nach Westen von der Straße fort. Kein Pfad gab den Weg vor, aber Jastail schien ihn dennoch zu kennen und machte noch nicht einmal halt, als sie an einer Furt einen flachen Fluss durchquerten, der zwischen hohen immergrünen Bäumen dahinströmte.
Die Nacht war noch nicht ganz hereingebrochen, als sie aus einem Espenhain hervor in eine flache Senke am Fuß dreier Berge ritten. In der Mitte der Lichtung stand eine kleine Blockhütte, geduckt und fast zwischen mehreren Stechpalmensträuchern verborgen. Ein großer Mond spiegelte sich schimmernd in einem schmalen Bach, der sich nahe an der Hütte vorbeischlängelte. Die Abendluft war vom Geruch des Geißblatts und des Hochgebirgsflieders geschwängert. Jastail ließ den Blick über das kleine Tal schweifen, bevor er weiterritt und mit scharfen Augen die Dunkelheit absuchte. Mehrfach drehte er sich um, um den Weg hinter ihnen zu beobachten, und ließ Wendra voranreiten. Er wirkte nervöser, als sie ihn je gesehen hatte. Sein verstohlener Gesichtsausdruck sagte ihr zu. Aber was mochte einen empfindungslosen Mann so schreckhaft machen?
Jastail ließ die Pferde gesattelt, während er die Hütte in Augenschein nahm. Die Tür war nicht mit einem Schloss gesichert, und der Wegelagerer trat so leise ein, dass das Rauschen des Baches seine Schritte übertönte. Kurz führte der Gedanke, die Flucht zu ergreifen, Wendra in Versuchung. Aber sie konnte sich nicht mehr sicher sein, dass Penit ihr folgen würde – der Junge und der Wegelagerer schienen gute Freunde zu sein.
Im farblosen Schein des Minderen Lichts zeigte der Schattenriss des Jungen das Bild des Mannes, der einmal aus ihm werden würde: eine vollere Nase, kräftigere Kiefer, Augen, die von Falten umgeben waren, die er mit Erfahrungen erwerben würde, von denen er jetzt noch nicht einmal träumen konnte; Oberkörper und Schultern wirkten breiter. Wendra würde kämpfen, um die Zukunft dieses tapferen Jungen zu retten.
»Kommt«, flüsterte Jastail.
Penit sprang vom Pferd und hüpfte ins Haus. Wendra stieg mit steifen Beinen ab und befestigte die Zügel in einem nahen Gebüsch, bevor sie das Gleiche mit denen von Penits Pferd tat. Jastail trat aus der Tür hervor und schlich wie ein Schatten an ihre Seite. Er rollte ein Tabakkrautblatt in einem kleinen Papierstreifen zusammen. Mit einer raschen Bewegung zog er ein Messer über einen
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