Das Gift der alten Heimat
auf ein Mindestmaß herabzumindern.
Die zwei Frauen wurden sich gegenseitig rasch sympathisch. Emma tat die nette Art wohl, mit der sie von Erna behandelt wurde, und Erna entdeckte bei Emma rasch die berühmten inneren Werte. Paul erlebte so mit Vergnügen, daß es zwischen den beiden keine Verständnisschwierigkeiten gab. An der Unterhaltung nahm er nur sporadisch teil, da er als Chauffeur auf den Verkehr zu achten hatte. Während der ganzen Fahrt gab es eigentlich nur ein Thema: Onkel Johann! Der Wagen rollte nach Süden, wo Köln lag. In die entgegengesetzte Richtung, nach Norden, ratterte der Zug Johanns, dessen Ziel Verden war. Dorthin kam ihm auch sein schwerer Wagen aus Hamburg entgegen. Er hatte telefonisch den Auftrag dazu gegeben. Ein Student saß am Steuer des Luxusschlittens und freute sich über diesen Job, der ihm wieder einmal ein erfreuliches Sümmchen nebenher einbrachte. Begeistert war er auch davon, daß ihn, wie er glaubte, die Mädchen an der Straße für den Besitzer des Wagens – zumindest für den Sohn des Besitzers dieses Wagens – hielten. Nonchalant winkte er ihnen zu. In Wahrheit war sein Vater ein armer Schriftsteller.
In Verden stieg Onkel Johann um auf seinen Cadillac. Der Student wußte die Ankunftszeit des Zuges und wartete vor dem Bahnhof. Er stand mit dem Auto im Parkverbot. Als Johann aus der Bahnhofshalle trat, sah er schon von weitem seinen Wagen und ging auf ihn zu. Zur gleichen Zeit näherte sich von der anderen Seite dem Cadillac ein Polizist und erreichte ihn ein paar Sekunden nach Miller. Der Polizist grüßte artig und zog sein Buch mit den Strafzetteln für Verkehrssünder heraus, wobei er Miller fragte: »Sind Sie der Besitzer?«
Johnny nickte, fühlte sich aber für das Delikt, das hier zur Debatte stand, nicht verantwortlich und warf deshalb einen Blick auf den Studenten.
Der Student deutete den Blick richtig. Es war seine Obliegenheit, dem Polizisten quasi in den Arm zu fallen. Da er als normaler Student alle Polizisten – sprich: Bullen – haßte, tat er dies unverzüglich und mit Verve.
»Sehen Sie nicht?« sagte er. »Der Herr ist Amerikaner!«
Der Polizist schrieb schon.
»Das nützt ihm nichts«, sagte er dabei.
»Ein sehr bedeutender Amerikaner, betrachten Sie sich den Wagen.«
Der Polizist schrieb weiter.
»Er kennt den amerikanischen Präsidenten!« fuhr der Student schwerstes Geschütz auf.
»Das nützt ihm auch nichts«, sagte der Polizist ruhig. »Den Hein Esser müßte er kennen.«
Johnny mischte sich interessiert ein.
»Wer ist der Hein Esser?«
»Der bin ich«, sagte der Polizist und überreichte ihm den Strafzettel.
Als die Prozedur beendet war, der Polizist sein Geld bekommen hatte und mit artigem Gruß abdrehte und auf den nächsten Wagen im Parkverbot zuging, sagte der Student, ihm haßerfüllte Blicke nachsendend, zu Miller: »So sind sie!«
Johnny betrachtete die Unterschrift auf dem Zettel. Da stand in der Tat ›H. Esser‹.
»Verstehen Sie jetzt«, fuhr der Student fort, »daß das einer der Gründe ist, warum ich diesem Land lieber heute als morgen den Rücken kehren möchte, wenn ich könnte.«
Johnny schaute auf.
»Nein, mein Junge«, sagte er dann, »das, was wir hier soeben erlebt haben, gehört zu den Gründen, warum Sie nicht den Wunsch hegen sollten, diesem Land den Rücken zu kehren! Verstehen Sie?«
Der Student blickte ihn stumm, aber höchst erstaunt an.
Mit fast liebevollen Bewegungen steckte Johnny Miller den Strafzettel ein und sagte dabei: »Den hebe ich mir auf und zeige ihn in Amerika herum und erzähle allen, welche Bewandtnis es damit hatte.«
Dann entlohnte er generös den Studenten, wobei noch die Frage zu klären war, wie der junge Mann zurück nach Hamburg kommen würde.
»Per Anhalter«, teilte dieser mit.
Miller gab ihm aber noch das Geld für eine Eisenbahnfahrkarte nach Hamburg.
»Das lohnt sich!« meinte der Studiosus der Rechte vergnügt, nach einem Wagen mit Hamburger Nummer Ausschau haltend. »Gerade wegen Ihrer Großzügigkeit kann ich aber diesen Scheißbullen nicht vergessen, der Sie durch meine Schuld angezapft hat, Mister Miller. Der soll nur nicht mal auf die Idee kommen, sich nach Hamburg versetzen zu lassen. Wenn er mir nämlich dort bei einer unserer Demonstrationen über den Weg laufen sollte, wäre er fällig.«
Johnny hatte im Zug Zeit genug gehabt, auf einer Autokarte, die er sich besorgt hatte, den Weg von Verden nach Gut Waldfels auszumachen. Er hatte also deshalb nach
Weitere Kostenlose Bücher