Das Gift der Drachen Drachen3
Dschungel dorthin verirrt hat, angelockt vom Geruch der nach Tod stinkenden Kokons.
Ich starrte auf die beiden geschnitzten Drachenschwanzmembranen, die sich auf dem Fußende meines Bettes trafen, ließ meinen Gedanken freien Lauf und hörte erneut Sak Chidils Worte in seinem Laboratorium.
Ein Symbiont. Ein Organismus, der in enger körperlicher Verbindung mit einem anderen lebt, ja?
Kwano-Schlangen hatten Brutzyklen, die mit den Schlüpfgewohnheiten von Drachen zusammenfielen. Die sogenannten Säuger, frisch geschlüpfte Kwano-Schlangen, lebten wie Parasiten auf einem Drachen, bis die Jungschlangen Zähne und Maul einer erwachsenen Schlange herausgebildet hatten. Dann fielen sie von der Haut des Drachen ab und nahmen ihr Leben im Blätterwald des Dschungels auf. Das war als allgemeines Sagengut allen Malacariten bekannt. Es wurden sogar Lieder über die blutsaugenden Kwano gesungen. Die Drohung mit der bösen Schlange wurde als Erziehungsmittel gegen aufsässige Kinder eingesetzt, damit sie den Launen und Anweisungen der Erwachsenen gehorchten. Kunstwerke zeigten, wie die böse Kwano vom Einen Drachen vernichtet wurde. Passagen, die die Drachenjünger in ganz Malacar im Tempel rezitierten, warnten vor dem angeborenen Bösen der Kwanos.
Die Kwano war ein perfider Parasit. Das wussten alle.
Wenn sie nun aber gar kein Parasit war? Sondern vielmehr ein Symbiont?
Vielleicht benötigten die Yamdalar Cinaigours ja Kwano-Schlangen, um sich in Bullen zu verwandeln, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht verzehrten die Schlangen das tote Fleisch und verhinderten so Fäulnis. Vielleicht strömten sie auch etwas durch ihre Haut aus, so wie die Buckelechse Gift absonderte, um ihre eigenen Feinde zu vertreiben, und damit indirekt den Gillivogel beschützte. Wer konnte das schon sagen? Ich jedenfalls nicht. Vielleicht würde eines Tages jemand wie Sak Chidil die Antwort finden. Aber einstweilen genügte das wenige, was ich wusste.
Kwano-Schlangen. Die maskierten Frauen, die mich während des Ritus umringt hatten, repräsentierten Kwanos. Viele von ihnen hatten Langbein eingekreist, als sie zu Boden gefallen war und ihre Schwingen um sich gefaltet hatte, um einen Kokon zu simulieren. Und die Masken der Frauen hatten Saugrüssel anstelle von Mündern gehabt. Wie hatte ich nur so begriffsstutzig sein können?
Kwano-Schlangen.
Da hatte ich meine Antwort.
19
W aivias Hebamme war eine korpulente, nüchterne Ao sogi-Frau, die sichtlich verärgert darüber war, einem Vornehmen Meisterdozenten der Ondali Wapar den Gefallen tun zu müssen, einer Studentin zu erlauben, sie auf ihrer morgendlichen Runde zu begleiten. Aber sie erlaubte es aufgrund des Briefes von Sak Chidil, den ich gefaltet in meinen Bitoo gesteckt hatte.
Ich trug denselben taubengrauen Bitoo, den ich auch am Tag zuvor in der Wapar getragen hatte. Meine Finger hatte ich sorgfältig mit Tinte verschmiert und mir einen Folianten unter den Arm geklemmt.
Den Morgen verbrachte ich damit, Waivias Hebamme durch die geschäftigen Straßen von Liru und in die Anwesen der jüngsten Neugeborenen der Elite zu folgen. Ich bemühte mich nach Kräften, das prachtvolle Innere der Häuser, in die ich geführt wurde, nicht anzustarren, sondern blickte stirnrunzelnd in meinen Folianten und kritzelte fleißig sinnloses Zeug hinein, während ich versuchte, meine Unruhe über die bevorstehende Begegnung mit Waivia zu unterdrücken.
Sobald ich als Studentin vorgestellt worden war, die Geburten untersuchte, wurde ich von den Frauen ignoriert, über deren Babys ich Notizen anfertigte. So anstrengend diese Verkleidung auch sein mochte, sie erfüllte vollkommen ihren Zweck. Ich war so gut wie unsichtbar.
Kurz vor Mittag erreichten wir das palastähnliche Anwesen aus weißem Stein, in dem Waivia und ihr Baby residierten. Es handelte sich um die Villa eines Verwandten des Lupini Re, wie Jotan mir gesagt hatte.
Wir gingen durch einen Hof zu einem Tor, an dem kräftige Paras mit strahlend blau bemalten Gesichtsnarben uns gebieterisch anhielten und befragten. Ich fuchtelte mit meinem Brief unter ihren des Lesens unkundigen Augen herum, und die Hebamme verbürgte sich für mein gutes Benehmen. Nachdem wir das Tor durchschritten hatten, wurden wir von einem fülligen Eunuchen in ein großes, dämmriges Zimmer geführt, das nach schwerem Parfum und schmelzenden Wachskerzen roch. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt, auf denen überall prachtvoll gepolsterte Ottomanen und Diwane standen. Auf
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