Das Gift der Drachen Drachen3
Drängen des Eunuchen mussten wir unsere Finger auf ein mit Tinte getränktes Kissen drücken und sie dann auf einem Blatt Pergament abrollen. Anschließend führte er uns hinaus und durch einen weiteren Hof, in dem ein Springbrunnen plätscherte, friedliche Mandelbäume standen und in dichten Gruppen Hyazinthen wuchsen. Wir stiegen eine Steintreppe empor und gingen über eine kleine Brücke, die von Arkaden gesäumt war, von denen üppige rote Blumen herabhingen. Dann erreichten wir ein gefliestes Foyer, in dem es kühl war und das durch viele lange, offene Fenster erhellt wurde. Vögel zwitscherten in Volieren, die den Raum säumten.
»Die Wai-Ebani erwartet Euch«, sagte der Eunuch, verbeugte sich flüchtig, stieß zwei große Teakholztüren auf und bedeutete uns einzutreten. Er selbst folgte nicht, sondern schloss die Türen hinter uns.
Da war sie, Waivia, eine barbarische, üppige Schönheit. Sie lagerte auf einem Diwan, der mit einem smaragdgrünen Stoff überzogen war, und ihre dichten, braunblonden Locken fielen ihr lasziv über Schultern und Hüften. Sie war unbestreitbar Djimbi, und das Öl, das sie auf ihrer warm strahlenden Haut verrieben hatte, betonte ihre grünen Flecken.
Auf einem Marmortisch neben ihr standen von Feuchtigkeit überzogene Gläser mit Fruchteis. Zu ihren Füßen schlief in einem mit Spitze ausgekleideten Körbchen ihr Baby.
Die Hebamme warf sich ehrerbietig auf den Boden. Mein Herz hämmerte, als ich ihrem Beispiel folgte. Als ich wieder aufstand, schwankte ich kurz, das Blut pochte in meinem Kopf.
Waivias Augen funkelten hell wie schimmernde, orangebraune Kugeln aus Chalcedon, und ihr Blick war starr auf mich gerichtet. Die Hebamme setzte zu einer gemurmelten Erklärung wegen meiner Anwesenheit an, aber Waivia entließ sie mit einem kurzen Winken ihrer Hand.
»Das Baby schläft. Warte draußen im Foyer, bis es aufwacht. Die Studentin kann bleiben; ich habe Fragen an sie, was ihre Studien angeht.«
Waivias beiläufige Art, mit der sie die Hebamme wegschickte, beunruhigte mich ein wenig. Sie hätte auf einen besseren Moment warten und mit mehr Feingefühl und Umsicht eine Möglichkeit finden sollen, wie wir ungestört sein konnten. Aber nein, so war Waivia: doppelt so ungeduldig wie ich und jedem Vorwand abgeneigt. Die Hebamme war offenbar an das Verhalten der Bayen-Frauen gewöhnt, denen sie diente. Sie warf sich einfach nur erneut zu Boden, presste die Lippen zusammen und verließ das Gemach.
Waivia und ich starrten uns an. Mein Hirn schien vollkommen leer zu sein.
»Durstig?« Waivia deutete lässig auf die schwitzenden Gläser mit Fruchteis neben sich. Ich war unglaublich durstig, aber ich konnte mich nicht von dem Fleck rühren, auf dem ich stand und sie anstarrte.
»Ich dachte, du wärst tot«, sagte ich. Mir schnürte sich der Hals zusammen, und vor Tränen verschwamm mir alles vor Augen. Ich fing an zu zittern, als wäre ich krank. »Die ganze Zeit … Warum hast du nicht …?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie sollte ich all die Qual schildern, die meine Mutter wegen Waivia erlitten hatte, als sie vor zehn Jahren als Sexsklavin an den Glasspinner-Clan verkauft worden war? Wie sollte ich das Leid und den Gram beschreiben, die ich durch die wahnsinnigen Versuche meiner Mutter durchgemacht hatte, Waivia zurückzukaufen? Wie die irre Verfolgung durch den Geist schildern, der mich den größten Teil meines Lebens unterdrückt hatte? Wie das Schuldgefühl erklären, mit dem ich wegen der schrecklichen Dinge aufgewachsen war, die Waivia widerfahren waren? Die Unzulänglichkeit, die ich angesichts der beschützenden Liebe empfunden hatte, die unsere Mutter ihr entgegengebracht hatte, oder die Einsamkeit, die Hilflosigkeit, die Enttäuschung, die Wut …?
»Ich war erst neun Jahre alt«, sagte ich heiser. Tränen liefen mir über die Wangen. Sie erhob sich von dem Diwan, geschmeidig und anmutig, glitt auf mich zu, umarmte mich, drückte mich gegen ihre warmen Milchbrüste. Ich schluchzte, und erneut waren wir Schwestern.
»Es war nicht deine Schuld«, flüsterte sie an meinem Kopf. »Es war nicht deine Schuld, Zarq. Es tut mir leid.«
Sie war meine Schwester. Ich hatte ihre Stimme schon gekannt, als ich noch im Leib meiner Mutter war. Sie hatte mich auf dem Rücken getragen, als sie selbst noch ein Kind war, sie hatte mir das Laufen beigebracht. Jede Nacht meiner Kindheit hatten mich ihre Atemzüge neben mir in den Schlaf gelullt, das sanfte, rhythmische Heben
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